100 Tage Sex
man muss beinahe zaubern können.
Nehmen Sie zum Beispiel unsere zweite Verabredung überhaupt, in Philadelphia.
»Ich hole dich gegen Mittag zu Hause ab«, schlug ich vor. »Wir setzen uns in die Sonne, sehen uns Baseball an und reden. Wie klingt das?«
»Prima«, meinte Annie.
Auf dem Weg zu ihr kaufte ich kalten Sekt und frische Himbeeren.
»Himbeeren!«, jubelte sie. »Woher weißt du, dass ich die wahnsinnig gern mag?«
Der Parkplatz vor dem Stadion war so riesig, dass er bis zum Horizont zu reichen schien. Wir saßen im Auto, tranken Sekt, aßen Himbeeren, lachten und unterhielten uns pausenlos. Als wir endlich ins Stadion gingen, war die Hälfte des Spiels schon vorbei. Später fanden wir heraus, dass wir bei dieser Verabredung beide gedacht hatten: Dieser Mensch könnte der richtige für mich sein.
Auch meine Eltern bemerkten sofort, dass diese Verabredung etwas ganz Besonderes war. Sie waren nämlich ebenfalls im Stadion, allerdings auf der gegenüberliegenden Tribüne. Das wussten wir. Was wir aber nicht wussten: Sie beobachteten uns gelegentlich mit ihrem Fernglas.
»Ihr habt euch die ganze Zeit unterhalten«, staunte meine Mutter, als ich heimkam. Schon damals hatte sie erkannt, dass wir einmal heiraten würden. Was für ein romantischer Tag! Sagenhaftes frühsommerliches Wetter, Himbeeren, Sekt, das Spiel, unser Herumalbern. Der Tag bildete den perfekten Rahmen für unseren gemeinsamen Tanz, bei dem wir uns zu einer Musik bewegten, die nur wir hörten. Wir spürten, dass die Chemie zwischen uns stimmte.
Vierzehn Jahre und viele, viele Flaschen Sekt später wachten wir in einem Hotelzimmer in Boulder auf, neben zwei Kindern, die ihre Existenz (unter anderem) jenem Baseballspiel verdankten. Heute wollten wir mit den beiden Elfchen durch Boulder stromern; untertags war also keine besondere Romantik zu erwarten. Sehr wohl aber am Abend, mit dem die 13. Marathonwoche zu Ende gehen würde: Wir planten, zu zweit schön essen zu gehen, während daheim eine Babysitterin auf die Kinder aufpasste. Wir würden uns für den anderen schönmachen und in einem winzigen, gemütlichen, ausgezeichneten Restaurant speisen.
In den vergangenen drei Wochen hatten wir oft auswärts gegessen, aber immer waren die Kinder, meine Eltern oder sonst jemand dabei gewesen. Bei all diesen Gelegenheiten hatten wir unseren Spaß gehabt, aber romantisch waren sie nicht.
Wir verbrachten einen ruhigen, angenehmen Tag in Boulder. Auf der Heimfahrt rief Annie dann plötzlich: »Halt mal bitte bei dem Drogeriemarkt! Ich möchte noch was kaufen.«
Sie kam ein paar Minuten später zurück - mit einem Schwangerschaftstest.
»Glaubst du, du bist schwanger?«, fragte ich. »Wir verhüten doch.«
»Klar. Aber es kann immer was schiefgehen«, sagte sie. »Und ich habe einige der Symptome.«
Eine Viertelstunde später erklärte sie: »Ich bin nicht schwanger.« Sie fügte hinzu: »Die Aussicht hätte mir gefallen. Aber auch ziemlich Angst gemacht.«
»Mir ging’s genauso.«
Zwei Tage später spielten wir nach einer Nachmittagsrunde im Bett, bei der der Rauch der Duftstäbchen so dicht gewesen war, dass ich Annie in dem Wabern kaum fand - nur ihr Lächeln drang durch den Qualm -, mit den Kindern Bauklötze. Dabei sang Joni immer wieder »Cecilia« von Simon und Garfunkel. Den Text kannte sie auswendig, nachdem sie das Lied Hunderte Male gehört hatte. Ich fand süß, wie sie trällerte, »making love in the afternoon«, ohne zu verstehen, worum es da ging.
Auch Annie sang vor sich hin: »Mein Geburtstag.«
Am nächsten Tag, dem 89., musste ich erst spät in die Redaktion, weil ich am Abend - beruflich! - einen Stripclub besuchen würde. Wir brachten die Kinder in Schule und Kindergarten, danach duschte ich und schlüpfte zurück ins Bett. Annie folgte stracks hinterher. Wir umarmten uns, plauderten, lachten und küssten uns. Dann küssten wir uns ein bisschen stürmischer, dann noch stürmischer. Wir benahmen uns wie Vierzehnjährige, knutschten wie wild, erkundeten den Mund des anderen mit der Zunge, das Ganze wurde ein bisschen feuchter als normal. So hatten wir seit Jahren nicht mehr aneinander gesaugt.
»Ich war heute Morgen so geil«, sagte Annie.
»Wie das?«, fragte ich.
»Einfach so«, antwortete sie. »Einfach scharf auf dich.«
»Das ist neu, oder?«, sagte ich. »Dass du ohne Grund geil bist.«
»Allerdings«, sagte sie. »Das hätte ich nie gedacht, dass der viele Sex mich heißer macht. Ich hatte Angst, genau
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