100 Tage Sex
»Das ist doch nur ein zufälliges Datum. Okay, ich bin jetzt vierzig, aber ich fühle mich noch immer wie fünfundzwanzig!« Erst einige Wochen später erwischte mich eine gewisse Melancholie. Während der Sexkonferenz im Florida traf ich einen sehr jungen und außerordentlich begabten Autor aus New York mit einer sagenhaft maskulinen Ausstrahlung. Er bewegte sich mit untrüglicher Sicherheit und strahlte eine unverschämte Coolness aus. Deprimiert beobachtete ich, wie Frauen ihm Blicke zuwarfen und mit ihren Fingern über den Rand ihrer Cocktailgläser fuhren.
Bald nach dieser Konferenz schickte mich meine Zeitung nach New York, wo ich ein Profil der aus Colorado stammenden Chefredakteurin von US Weekly schrieb. Mit vierzig gehört man in den Redaktionen der meisten gro ßen Zeitungen etwa zum Durchschnitt - eher sogar noch zu den Jüngeren - aber in den Büros von US Weekly wirkte ich schlicht wie ein Dino. Was für ein Tummelplatz der Jugend: eine energische Reporterin in ihren Zwanzigern mit magnetischem Ausschnitt, spitzen Absätzen und dem feuchtfröhlichen Ressort für Publizisten und Nachtclubs; ein beeindruckender, weltmännischer Jungspund, dessen totale Beherrschtheit im Auftritt ihn für ein Leben stetig zunehmender Großartigkeit bestimmte; und schließlich die Chefredakteurin selbst, eine atemberaubend elegante, attraktive und kluge Frau in den Dreißigern. Sie alle ließen mein Selbstbewusstsein weiter schrumpfen, das bei dem Treffen mit dem jungen New Yorker Autor schon so heftig angenagt worden war.
Doch am Ende meines Manhattan-Aufenthalts, nur Wochen, nachdem Annie den Sex-Marathon vorgeschlagen hatte, nagte nichts mehr. Ich will hier nicht angeben, aber mein Selbstwertgefühl blähte sich auf wie ein Kugelfisch: Ich werde vielleicht alt, dachte ich. Aber ich kriege bald Sex. Viel mehr als je zuvor. Mehr als ihr. Ha!
2
Ich werde ihn genießen!
UNSER SEXABENTEUER SOLLTE in einem Hotelzimmer direkt neben dem von Annies Eltern beginnen. Ich brauche sicher nicht weiter zu erläutern, dass dieses Arrangement unseren Start ein wenig verkomplizierte. Unter diesen Umständen eine heiße Liebesnacht? Ihr macht wohl Witze , dachte ich. Ich fühlte mich wie ein Kerl, der gerade aus dem Gefängnis kommt, sich zu seiner ersten Restaurantmahlzeit seit Ewigkeiten hinsetzt und dann von seinen Nachbarn schräg angequatscht wird, er solle sich nicht so viel Kalorien und Cholesterin reinstopfen. Ihr macht wohl echt Witze!
Die Schwiegerleute schliefen mit Ginger zwischen sich in einer Hotelsuite, von der eine dünne Tür in unser Zimmer führte, wo Annie die letzten Tage unter Durchfall gelitten und Ginger die Nacht zuvor gekotzt hatte.
»Durchfall und Kotze«, sagte Annie, als ich im Hotel in Boulder ankam, in dem der Rest des Clans sich schon ein paar Tage amüsiert hatte, während ich noch in Denver arbeiten musste. »Nicht gerade die Aphrodisiaka, die ich erhofft hatte.«
Silvester, das heißt traditionell: festliche Kleidung, keine Kinder, viel tanzen, viel trinken und ein langer Kuss beim
Jahreswechsel, gefolgt natürlich von wunderbar entspanntem Sex. Zwar haben wir in den vierzehn Jahren seit unserem ersten Rendezvous nie so ein Silvester geschafft, aber dieses Silvester ragte als das bisher unerotischste von allen heraus. Das Hotel warb mit seiner Familienfreundlichkeit, und wir hatten uns freiwillig gemeldet, an einer ganzen Palette von geplanten Unternehmungen teilzunehmen. Lange bevor wir den Marathon beschlossen, hatten wir vereinbart, den Jahreswechsel mit der Verwandtschaft zu begehen. Wir fühlten uns verpflichtet, zu unserem Wort zu stehen und auch niemandem den Spaß zu verderben. Anstatt also über den verdorbenen Sexperimentstart zu jammern, stürzten wir uns in die Betriebsamkeit. Wir wussten ja, dass wir irgendwann das neue Jahr mit etwas Heißerem begrüßen würden als einem mitternächtlichen Kuss.
Wir bauten Türme aus rohen Spaghetti und Marshmallows und prüften ihre »Erdbebenstandhaftigkeit«, indem wir am Tisch rüttelten. Unsere Mannschaft - die Familie - nahm auch am Wettbewerb um die sicherste Verpackung für ein rohes Ei teil. Die in Toilettenpapier gewickelten und in Kartons gelegten Eier wurden zum Test von einem Balkon geworfen. (Joni heulte, als unser Ei kläglich scheiterte.) Wir bauten eine kleine Hütte, allein aus Zeitungspapier und Malerkrepp. Annie versuchte, einen Hula-Hoop-Reifen möglichst lange um die Hüften kreisen zu lassen. Aus Bastelpapier, Klammern,
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