100 Tage Sex
ist mir die Sache zu wichtig«, gestand sie am Tag, da sie die E-Mail losschickte. »Es kommt mir unaufrichtig vor, wenn ich es meinen Eltern verschweige.«
Sie reagierten nicht gerade enthusiastisch, aber auch nicht ablehnend. Es ging eher in die Richtung: »Hey, es ist dein Leben. Viel Spaß dabei.«
Weil wir unsere 100-Tage-Sexkapade um ein Uhr morgens begonnen hatten, hatten wir den Rest des Tages »frei«. Beide gestanden wir am Morgen, wie erleichtert wir waren,
dass wir am Abend »frei« haben würden. Das fing ja schlecht an! Der erste Tag lief noch, und schon freuten wir uns auf einen Abend ohne Sex. »Ich denke, das Wichtigste ist, sich die Kräfte einzuteilen«, meinte Annie, als wir das Auto beluden. »Wir müssen jede Atempause nützen, die wir bekommen. Ich weiß, heute Abend werde ich geschafft sein, aber wir müssen ja nichts mehr tun. Ich darf einfach … müde sein.« »Ich frage mich, wie es uns beispielsweise am Tag 75 gehen wird. Wäre schön, wenn der tägliche Sex den Hunger erst wecken würde«, sagte ich. »Wird an diesem Tag die Aussicht auf einen Abend ohne Sex ein Grund zum Feiern oder zum Trauern sein?« »Tag 75«, sinnierte Annie. »Schwer vorzustellen.« Annies Familie begab sich auf ihre zweitägige Fahrt nach Missouri, wir vier stiegen in unseren Minivan und zischten nach Hause. Annie und ich schwebten auf dem High unseres Sexabenteuers - bis beim Ausladen Ginger einen Anfall bekam, weil keine Nudeln für Käsemakkaroni im Haus waren. Sie warf sich auf den Bauch und brüllte zwanzig Minuten lang aus vollem Halse. Willkommen daheim! Der Aufprall im Alltag war hart gewesen, aber der Abend verlief sanfter. Als Ginger endlich schlief und ich Joni die letzte Geschichte vorlas, ließ Annie ein Bad ein - mit reichlich Salzen, Ölen und Essenzen -, zündete japanisches Sandelholzräucherwerk an und beleuchtete den Raum mit nicht weniger als zehn edlen Duftkerzen. (Die meisten davon hatte ich während unserer Vorbereitungsphase bei einem Fachgeschäft in Denver gekauft, wo ich insgesamt mehr als hundert Dollar ließ.) Ich holte zwei Flaschen India Pale Ale und glitt der lächelnden Annie gegenüber in die Wanne.
»Wir haben ja so Recht«, sagte sie. »Ich wünschte nur, wir wären früher drauf gekommen!«
»Vor zehn Jahren wäre es auch noch leichter gewesen«, meinte ich. »Aber der Effekt wäre wahrscheinlich nicht der gleiche gewesen.«
Wir aalten uns eine halbe Stunde in der Hitze unseres Refugiums. Unsere Beine lagen aneinander, wir ließen das Wochenende noch einmal Revue passieren, plauderten über die Mädchen und träumten gemeinsam, wie wir unser Leben gestalten wollten. Sollten wir nach Irland ziehen? Wir liebten die Insel - Annie hatte zu Highschool-Zeiten ein Jahr in Tullamore auf einer Schaffarm verbracht und war während ihres Studiums nach Dublin zurückgekehrt. Wir könnten eine weiß getünchte Hütte an der spektakulären Westküste kaufen und dort die Kinder großziehen. Oder wie wäre es, im beinahe ländlichen Idyll am Rand meines geliebten Philadelphia ein charmantes Bistro zu eröffnen? Die Kinder könnten dann in der Küche und einem weitläufigen Garten aufwachsen. Wir könnten aber auch unser gemietetes Häuschen in Stapleton gegen einen altehrwürdigen Kasten aus dem 19. Jahrhundert im historischen Zentrum Denvers tauschen, einem Viertel mit gewaltigen Blautannen, wilden Blumenwiesen in den Vorgärten und großen Veranden. Wir träumten oft so in trauter Zweisamkeit; ich hörte mir Annies Tagträume an, sie sich die meinen, und gemeinsam schufen wir, wie Bildhauer, die zusammen an einem Block gemasertem Granit arbeiteten, etwas Neues, das weder Annie noch Doug war, sondern Wir.
Nach dem Bad schlüpften wir zwischen frische Laken - anlässlich unseres 100-Tage-Abenteuers hatte ich vor der
Abfahrt nach Boulder das Bett neu bezogen. (Das war, muss ich zu meiner Schande gestehen, wohl das erste Mal, dass ich unsere Bettwäsche gewaschen habe.) Annie war begeistert. Wir küssten uns … und fielen sofort in tiefen Schlaf.
Am nächsten Morgen weckte Ginger uns. So begann der Montag, ein Feiertag, und wir erwarteten einen fast normalen Marathontag: eine stetige Abfolge von Beschäftigungen, gefolgt von - hoffentlich - Sex. Annie ging zum Yoga, das in einem kleinen Raum im Keller eines nahe gelegenen Apartmenthauses stattfand, keine fünf Minuten von uns entfernt. Ein paar Wochen zuvor war sie das erste Mal zu diesem Kurs gegangen - und sofort Feuer und
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