100 Tage Sex
Pockets, die eine gigantische Garderobe besitzen. Mit ihnen konnten
sich die Mädchen stundenlang beschäftigen. Schließlich wurde es Zeit für Gutenachtgeschichten. Ich las Ginger einen Haufen Bücher vor und wickelte sie in ihre Decke. Dann begaben Joni und ich uns auf unsere allabendliche Harry-Potter-Tour, Band fünf. Wir lasen im Elternschlafzimmer, weil dort das Bett größer und das Licht besser ist. Plötzlich öffnete sich die Schlafzimmertür, und Ginger kam herein. Das geschah sonst nur selten. Ich fragte mich, ob sie wohl merkte, dass sich im Haus etwas verändert hatte.
»Ginger«, mahnte ich, »du musst jetzt schlafen. In deinem Zimmer.«
»Neeeeeeein!«, brüllte sie.
Ich trug das zeternde Mädchen wieder in ihr Zimmer, steckte sie ins Bett, betätigte mich ein wenig als Ginger-Flüsterer, schloss die Tür und kehrte zu Joni zurück. Hinter mir hörte ich »Baa baa black sheep«, die gebrüllte Version eines Kinderlieds. Joni und ich sahen uns grinsend an.
»Die ist schon’ne Type«, sagte ich.
»’ne verrückte Type«, ergänzte Joni.
Beim Vorlesen musste ich eine Lautstärke finden, bei der ich Gingers Gesang übertönte, sie aber nicht wieder aus ihrem Schlafzimmer locken würde. Gerade als ich ein Kapitel beendete, verstummte das Lied, und ich brachte Joni ins Bett. Danach richtete ich unser Schlafzimmer für die Festivitäten des Abends her.
Wie gern hätte ich mir jetzt ein Bier geholt, ein bisschen gelesen und dann einfach nur geschlafen. Aber die Dinge hatten sich geändert. Ich gab unserer Liebesgrotte ihren früheren Glanz zurück: Ich hängte meine abgelegte Kleidung
auf, räumte Zeug weg, das sich auf Sekretären und Regalbrettern angesammelt hatte, seit Annie den Raum zum ersten Mal umgestaltet hatte, und zündete Kerzen und Räucherstäbchen an. Die Flammen tauchten den Raum in ein lebendiges orangefarbenes Licht. Von dem Zauberstab mit japanischem Weihrauch stiegen dünne Rauchfäden in die Luft. Ich schüttelte die Kissen auf und glättete die braun-karminrote indische Überdecke mit der Hand. Der ganze Raum sagte: Ich bin bereit, Baby.
Als Annie nach anderthalb Stunden Yoga nach Hause kam, schien sie von innen heraus zu leuchten. Anspannung, Nervosität und Geldsorgen waren spurlos verschwunden. Während sie duschte, las ich in einem Buch über taoistische Ansätze zum Erhalt der sexuellen Energie. Dann sprang auch ich unter die Dusche und kam nackt ins Bett. Annie trug ein Negligé. Sie bot an, mir die Füße mit einer Feuchtigkeitscreme zu massieren, die nach Wald roch. Ich schloss die Augen und gab mich dem Genuss hin.
»Ich fühle mich wie neugeboren«, sagte Annie, während sie meine Sohlen knetete. »Yoga hat eine erstaunliche Wirkung.«
Dann lehnte sie sich zurück und ich massierte ihre Füße.
»Verdammt«, sagte sie. »Das hat mich so heiß gemacht.«
Plötzlich spürte ich ein dringendes Bedürfnis nach Sex. Stumm feierte ich dieses Gefühl. Vor dem Marathon hätte ich nach einem so anstrengenden - also normalen - Tag nicht auch noch die Liebesgrotte aufgeräumt (es hatte ja auch gar keine gegeben), keiner von uns hätte geduscht, Annie hätte sich keine Reizwäsche angezogen, und Fußmassagen hätten nur in unseren Träumen stattgefunden. Und das Ausleben von sexuellen Bedürfnissen? Fehlanzeige.
Wir hätten nur noch unser Schlafbedürfnis ausgelebt. Doch jetzt konnten wir es kaum erwarten, unsere Lust zu stillen. Und das taten wir.
Beim Einschlafen fühlte ich mich glücklich und geborgen.
Als ich am Morgen die Augen aufschlug, schmerzten meine Gelenke. Mein Kopf fühlte sich an, als hätte ihn eine Alptraumgestalt mit Watte ausgestopft. Ich gehöre zu den Leuten, die öfter mal krank sind. »Bitte«, flüsterte ich und starrte flehend an die Decke, »warte noch ein paar Monate, ja? Ich darf jetzt auf keinen Fall krank werden.« Vorerst, beschloss ich, würde ich einfach tun, als ob nichts wäre.
Dies sollte Annies erster Tag allein daheim sein, der erste seit Weihnachten. Annie arbeitete freiberuflich für einen Hersteller von Feinschmecker-Pasta, normalerweise von zu Hause aus, nur einmal die Woche fuhr sie zu Besprechungen in die Firma. Einen Großteil ihrer Arbeitszeit verbrachte sie damit, das Geschäft auf Bauernmärkten anzukurbeln, wo das Unternehmen seine riesige Palette an Nudelsorten feilbot. Sie schrieb auch zwei Küchen-Newsletters, einen für das Pasta-Unternehmen, einen für ein monatlich erscheinendes Lokalblatt.
Während Annie also
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