100 Tage Sex
Target gekauft, dem Riesensupermarkt, in dem wir offenbar einen erschreckenden Teil unseres Einkommens verbrieten. Schulbedarf, Strumpfhosen, Kleiderbügel, Bilderrahmen, Polly Pockets, Pfannenwender und eine Unmenge anderer Dinge made in China. Und jetzt auch noch Gleitmittel.
Bei der Target-Safari waren, wie meistens, die Kinder dabei gewesen, was die Sache spannend machte. Wie immer beobachtete Joni mit Argusaugen, was wir in den Einkaufswagen legten. Wenn sie einen Artikel nicht kannte, fragte sie nach. Natürlich hätten wir lügen können, wenn sie sich nach dem Gleitmittel erkundigte - »ein neues Shampoo, Schatz« -, aber das fiel uns nicht rechtzeitig ein. Also sauste Annie voraus zur Kasse, während ich die Kinder im Einkaufswagen herumschob, und kam dann wieder zu uns zurück.
Gleitmittel also. Darauf wäre ich nicht gekommen, schon allein deswegen nicht, weil ich meine Fähigkeit, Annie zu stimulieren, für ausreichend hielt. Aber wenn es schon die Ärztin empfahl …
Annies Urteil fiel eindeutig aus: »O mein Gott , DJ«, keuchte sie. »Wow!«
Anlass genug, meine Meinung über Gleitmittel zu ändern.
Vierzehn Jahre hatten wir darauf verzichtet. Wir sind eigentlich durchschnittlich intelligente Menschen und haben Sinn für Abenteuer und Vergnügungen. Warum in aller Welt haben wir nie unsere Hemmungen überwunden und ein bisschen mit dem Zeug rumgeschmiert? Warum hat uns niemand über seine sublimen Vorzüge aufgeklärt? Gleitmittellos waren wir in unsere mittleren Jahre gerutscht! Dieses schlimme Versäumnis mussten wir ausführlich wiedergutmachen! Danke, Doc!
Vielleicht kennen die Wissenschaft oder der Allmächtige persönlich etwas Glitschigeres als Gleitmittel, ich wüsste aber nichts. Das ist natürlich der Witz daran: es ist seidig und glitschig. Gutes Gleitmittel wird auch bei Reibung - bei Geschlechtsverkehr natürlich unvermeidlich - nie klebrig, im Gegensatz zu vielen anderen Substanzen wie Creme oder Seife. Und schon bald kam Annie in einem sagenhaften Orgasmus. Und ich gleich hinterher.
»Morgen ist der große Tag«, sagte Annie am nächsten Morgen, als wir noch im Bett lagen.
»Vegas«, sagte ich.
»Porno«, antwortete Annie.
Unserer Vorfreude wuchs immer mehr, je näher der Trip rückte. Die Aussicht auf ein Eintauchen in die Welt der Pornografie erregte mich. Wir würden praktisch auf Tuchfühlung gehen. Aber ich freute mich auch auf die Stadt, die mir viel bedeutete, weil meine Großeltern während meiner Jugend zeitweise dort gelebt hatten. In den 1970ern und 80ern hatte mein Großvater als Kartengeber
im MGM Grand gearbeitet, danach bei Bally’s und ein, zwei weiteren Casinos. Ich war außerhalb von Philadelphia aufgewachsen und hatte nichts anderes gekannt als wogende Hügel, schwüle Sommer, Urwälder und schneereiche Winter. Bis wir eines Tages, ich war zehn oder elf, in Las Vegas landeten. Schon die Luft war völlig anders, messerscharf und funkelnd. Die Sonne gleißte buchstäblich vom Himmel, und die nächtlichen Casinolichter entzündeten einen Winkel meines Gehirns und verzauberten ihn dauerhaft. Viel später, als Annie und ich schon verheiratet waren, fuhren wir von zu Hause in Albuquerque nach Vegas, um Opa zu besuchen. Wir beide mochten die Stadt, das Klimpern der Münzen in den Ausgabeschächten der einarmigen Banditen, die Kellnerinnen, die mit Tabletts voll beschlagener Bierflaschen durch die Menge wieselten, und die Taxis mit ihren leuchtenden Reklamen für Stripclubs. Las Vegas ist durch und durch künstlich, unmoralisch, verdorben - und ist sich dessen auch völlig bewusst.
Seit dem Tod meines Großvaters Mitte der 1990er waren wir nur einmal zurückgekommen, das war zu Annies drei ßigstem Geburtstag. Ein Wochenende lang ließen wir es richtig krachen - einer der letzten Urlaube, bevor wir Eltern wurden. Wir wohnten im New York New York, hatten beim Videopoker einen Royal Flush (leider an einer Maschine mit niedrigen Einsätzen, so dass wir vom Gewinn gerade mal das Zimmer bezahlen konnten), und trieben es ein-, zweimal in dem großen Hotelbett. Das waren die Tage, bevor Schwangerschaft, Kinderaufzucht, Karriere und Alter unsere Energie aussaugten.
Jetzt kehrten wir nach Vegas zurück, zum jährlichen Sexzirkus der Pornobranche, einem dreitägigen Festival
nackter Haut samt Verleihung der brancheneigenen Oscars. Dort kämpften Frauen um Preise in Kategorien wie »Bestes neues Starlet« und »Beste Nebendarstellerin - Video«, und Männer beteten um
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