100 Tage Sex
anderes.«
»Allerdings. Ich erzähle dir mehr, wenn wir daheim sind.«
»Bis bald, Schatz«, verabschiedete Annie sich. »HDGDL.«
»IDA.«
Okay, Sie finden diese Abkürzungen - für »Hab dich ganz doll lieb« und »Ich dich auch« - jetzt wahrscheinlich grauenhaft kitschig, und es wäre unklug von mir, gegen diese Einschätzung zu protestieren. Es ist nur so, dass wir irgendwann einmal anfingen, ich glaube, das war, als wir in Florida lebten, unsere E-Mails aneinander mit erfundenen Akronymen abzuschließen. Annie schrieb etwa »DF, DG, DBF«, und ich musste ausknobeln, dass sie damit »deine Frau, deine Geliebte, deine beste Freundin« meinte. Ich schickte ihr daraufhin ein ähnliches Rätsel, vielleicht »M, G, LLSV«, und sie musste es dann als »Mann, Geliebter, lebenslanger Seelenverwandter« entschlüsseln. Nach ein paar Wochen solcher Knobeleien blieben wir schließlich bei HDGDL, das wir auch in unsere Gespräche übernahmen. Seit fast einem Jahrzehnt tauschten wir täglich, manchmal stündlich HDGDLs aus.
Wenige Minuten nach »IDA« erreichten die Mädchen und ich unser Balsaholz-Haus. Danach begann für Annie und
mich die Perlenschnur eines zu Hause verbrachten Tages: Streit zwischen den Kindern schlichten, Mittagessen kochen, Hühnchenschenkel für Jonis Lunchbox für die Woche braten. Draußen vor unserem Haus spielte derweil ein Nachbar mit seinem Kind.
Wie üblich grüßte der Nachbar mich nicht. Vielleicht lag es ja an unserer Veranda, dass unsere Nachbarn uns gegenüber so, milde ausgedrückt, wenig herzlich waren. Auf ihren Veranden standen teure Gartenmöbel aus Teakholz, Buddhas, Spaliere, an denen sich sommers die Blüten drängten, und von den Decken hingen Schaukeln aus Eiche. Ihre Veranden hätten auch die Titelblätter edler Landhausmagazine zieren können. Unsere Veranda hingegen sah aus wie aus einem Armutsbericht, vollgestopft mit Spielzeug, Rädern, alten Stühlen und meinem Großen Grünen Ei - einem wuchtigen Keramikgrill.
Tatsächlich repräsentierte das Leben in unserem Viertel das absolute Gegenteil dessen, wofür Bass Pro Shops stand. Und ich fühlte mich in beiden Umgebungen fremd, ein Eindringling. Einziger Unterschied: In Bass Pro Shops kam ich mir zu städtisch und verweichlicht vor, wie eine Schwuchtel, während ich mich in unserem Viertel wie ein banjospielendes, chronisch arbeitsloses Landei fühlte. Das Plastikreh, das in unserem Vorgarten Wache stand - ein Bock mit an der Flanke aufgemalter Zielscheibe, der starr über den weißen Lattenzaun starrte, wie ihn in unserer Gegend alle Häuser haben - ließ uns nur noch exotischer wirken. Annie hatte ihn als Protest gegen die schäbige Behandlung aufgestellt, die wir seit dem Einzug von den Nachbarn erfahren hatten. Genervt von den kalten Schultern, die wir unerklärlicherweise von allen Seiten gezeigt
bekamen, fuhr Annie eines Nachmittags zu einem Jagdsportladen, kaufte den Bock (den sie Ira nannte) und stellte ihn mit den Worten »Alles Liebe zum Hochzeitstag« in den Hof.
Ira war die einzige Tierskulptur aus Plastik in ganz Stapleton.
In jener Nacht packten wir die Mädchen in ihre Schlafsäcke und lasen ihnen ewig vor.
»Puh!«, stöhnte Annie, als sie schließlich um acht aus Jonis Zimmer kam. »Anstrengend. Und das soll ein freier Tag sein.«
»Und die nächste Pflicht ruft schon«, mahnte ich.
Sie zog die Augenbrauen auf eine Weise hoch, die höchste Zufriedenheit ausdrückte.
Ich sprang unter die Dusche, was ich abends nur selten tat. Aber wir hatten ja noch was vor … Nach dem Abtrocknen rieb ich meinen Körper sogar mit einer Feuchtigkeitscreme ein, die Annie extra für den Marathon gekauft hatte. Ich hoffte, das würde mich irgendwie attraktiver machen.
Während Annie duschte, verteilte ich Duftkerzen mit den Aromen »Vanille, Jasmin, Tabak« und »Champagner« im Schlafzimmer und entzündete Patschuli-Räucherstäbchen. Annie erschien, graziös und nach Frühling duftend; sie trug die hinreißende (und teure) französische Reizwäsche, die ich ihr - ganz im Geist des Marathons - verehrt hatte.
Ein paar Minuten saßen wir mit gekreuzten Beinen auf dem Bett. Dann warf ich Annie meinen typischen »Willst du vögeln?«-Blick zu - angehobene Augenbrauen, ein schiefes
Lächeln -, und sie legte sich hin. Ich folgte und führte meine Lippen an ihren Mund. Und dann … klick.
Das gefürchtete Geräusch einer sich öffnenden Kinderzimmertür.
Jonis Husten war schlimmer geworden. Ich schlüpfte in
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