100 Tage Sex
wie Geister aus einer Wunderlampe. Ich selbst bin nicht das, was man einen Pringles-Dosen-Mann nennen dürfte. Ich fand diese Prozession von stolzen Baseballschlägern, die da vor Annies Augen ablief, ziemlich einschüchternd. Ich fragte sie, ob sie bei dem Anblick Lust auf einen dieser Telefonmasten bekomme.
»Ich fände so ein Riesending schlimm«, antwortete sie. »An Genitalien ist ja wirklich nichts Schönes. Im Grunde genommen sind sie ziemlich hässlich. Das Sinnlichste an einer Frau sind ihre Brüste und ihr Hirn; an Männern ist es nur das Hirn. Bei Pornos sieht man einen Haufen falsche Titten und kaum Hirn. Was sollte Frauen daran anmachen?«
Ich hätte an diesem Punkt nachhaken und Annie bitten können, Länge und Dicke aller Penisse aufzulisten, mit
denen sie … zu tun hatte, bevor sie mich traf. Ich hätte fragen können, wie ihre früheren Liebhaber im Bett waren und sie danach ins Kreuzverhör nehmen: So, du sagst also, dieser Freund aus Unizeiten habe einen 40-cm-Penis gehabt, sei im Bett aber eine Niete gewesen. Inwiefern? Bitte Details!
Doch ich wusste, dass dieses Thema es nicht wert war, weiterverfolgt zu werden. Wozu auch? Annie mochte den Sex mit mir immerhin so, dass sie vorgeschlagen hatte, es hundert Tage hintereinander zu tun. Unsere Beziehung war auch nach vierzehn Jahren noch sehr gut, und der Sex verbesserte sich mittlerweile zusehends. Selbstzweifel oder die Gespenster ehemaliger Freunde Annies mit 40-cm-Schwengeln würden mir nicht gerade helfen, unser Sexleben zu optimieren. Krasser ausgedrückt, so was könnte mich total aus der Bahn werfen.
Sie denken jetzt vielleicht: Eine verpasste Gelegenheit! Der Marathon ist doch dafür da, die Grenzen auszuweiten! Jeden Aspekt des Sexuallebens zu erforschen! Sex war nach vierzehn Jahren Beziehung und erst neun Tagen Marathon von der Seitenlinie ins Zentrum des Spielfelds gerückt. Und jedes Experiment hat seine Grenzen. Orgien? Nein. Ledermasken? Nein. Diese in Pornos so beliebte Art Sex, die wir mal »Hintertür«-Sex nennen wollen? Während der Vorbereitungsphase hatten wir das Thema mal besprochen. Ich war nicht besonders scharf darauf, aber auch nicht angewidert.
»Was meinst du, Annie«, fragte ich in einer der vielen Unterhaltungen zum bevorstehenden Marathon. »Sollen wir es mal probieren?«
»Keine Chance«, antwortete Annie. »Ich finde daran überhaupt nichts Erotisches. Es widert mich an. Nicht die
Vorstellung, dass andere Leute es so machen. Nur die Vorstellung, es selbst zu tun.«
Das führt uns zum Porno an diesem zehnten Tag des Marathons zurück - die Pringles-Mannschaft wechselte sich beim Hintertür-Sex ab.
»Nichts von dem ist echt«, sagte ich. »Die Frauen könnten lesbisch sein, die Männer langweilen sich vielleicht zu Tode. Die tun nur, als ob.«
»Logo. Das macht die Sache aber nicht flotter.«
»Bei Pornos gibt’s ja alle möglichen ›Geschmacksrichtungen‹.«
»Das gewalttätige, erniedrigende Zeug ist das absolut Schlimmste«, meinte Annie. »Ich kann überhaupt nichts Erotisches daran finden, wenn Frauen gedemütigt und misshandelt werden. Vielleicht gibt es ja Pornos, die mir gefallen würden, ich habe nur noch nichts gesehen, das mich antörnen könnte.«
»Auf das gewalttätige Zeug stehe ich auch nicht besonders«, sagte ich. »Aber Rollenspiele? Hattest du je Lust darauf?«
»Du meinst, dich zu verkleiden wie Goldlöckchen oder so was?«
»Im Prinzip, auch wenn ich noch nicht erwogen habe, zum Sex eine blonde Perücke mit Pferdeschwänzen und ein kariertes Kleid anzuziehen«, sagte ich.
Annie zwinkerte. »Du würdest dich toll machen als Goldlöckchen. Nein, an Rollenspiele habe ich noch nie einen Gedanken verschwendet. Du der Polizist und ich die Raserin, die er angehalten hat? Du der Pizzalieferant und ich die frustrierte Hausfrau? Du der Arzt, ich die Patientin?«
»Du scheinst dich da auszukennen«, meinte ich. »Macht dich irgendetwas davon an?«
»Das sind doch total abgedroschene Klischees. Nein, das törnt mich gar nicht an«, sagte Annie. »Ich finde es auch nicht abstoßend, nur albern. Ich glaube, ich könnte nicht ernst bleiben, wenn du einen Schnauzer trügst, Lederstiefel und eine blaue Uniform und mich dann anbaggern würdest.«
»Wie steht’s mit Bondage?«, fragte ich. »Fesselspiele? Dem von Cosmopolitan und Vogue genehmigten Zeug?«
»Würde dir das gefallen?«, erkundigte sich Annie.
»Wenn du scharf darauf wärst, würde ich es tun. Ich habe nichts dagegen.
Weitere Kostenlose Bücher