100 Tage Sex
Vielleicht wäre es ganz erotisch. Aber der Gedanke daran erregt mich nicht besonders.«
»Das ist nicht mein Ding«, sagte Annie. »Ich mag es nicht, gefesselt zu werden.«
»Ich fände es wohl auch eher lächerlich als erotisch. Vielleicht würde ich mehr Lust bekommen, dich zu kitzeln, wenn du ans Bett gefesselt bist, als mich auf dich zu stürzen.«
Wir gaben dem Porno noch ein paar Minuten, dann ließen wir es gut sein. Annie gähnte wie ein Flusspferd, als wir näher zusammenrückten.
»’tschuldigung«, sagte sie. »Nicht. In. Stimmung.«
Ich hatte ihr Gähnen mit einem Gähnen erwidert und musste ihr zustimmen.
Sanft streichelte ich ihren Arm. Und gähnte wieder. Was wiederum ein Gähnen bei Annie auslöste. Es war wie im Grabenkrieg, nur flogen statt Handgranaten herzhafte Gähner hin und her. Momentan sah es aus, als würde der Grabenkrieg mit einer nie dagewesenen beidseitigen Kapitulation
enden. Etwas ungeschickt nahm ich Annie bei den Armen, und wir taumelten auf unsere jeweilige Bettseite. Wir starrten uns an. Ich führte meine Lippen an ihre. Anfangs flogen keine Funken. Doch mit der Zeit wurde die Sache heißer: Die Küsse wurden leidenschaftlicher, unsere Gliedmaßen umschlangen sich, und bald turnten wir mit einer gewissen Lebendigkeit im Bett herum. Schließlich kamen wir beide zum Orgasmus.
»Mir ist immer noch ganz schummrig, so müde bin ich«, sagte Annie hinterher, auf dem Rücken liegend und an die Decke starrend. »Aber eines muss ich sagen: Je mehr Sex ich kriege, desto besser gefällt er mir. Ich finde, tägliche Orgasmen sollten gesetzlich vorgeschrieben sein.«
Und dann zogen wir die Decken über die Schultern und plumpsten in tiefen Schlaf.
Während der Arbeit hing ich wunderbaren Erinnerungen an Annie nach. Einige Wochen zuvor hatte ich für eine Geschichte über haschrauchende Mütter eine ziemlich durchgeknallte Frau interviewt. Sie rief mich nach dem Gespräch an, weil ich meine Mütze bei ihr vergessen hatte.
»Ich bringe sie ins Restaurant mit, wo ich arbeite«, sagte sie. »Sie können sie dann jederzeit abholen.«
An diesem kalten Tag ging ich die Mütze abholen, eine robuste grüne Kappe mit schwarz-weißem Muster am Scheitel. Diese Kappe war das Erste, was Annie je für mich gestrickt hatte. Während des Fußmarschs tauchte die Erinnerung an ein frühes Treffen mit Annie auf.
Wie bereits geschildert, war ich von Annie hingerissen, seit ich sie im Pausenraum jenes Verlags in Philadelphia
gesehen hatte. In den vier Monaten, die ich dort noch arbeitete, begegnete ich Annie nicht oft. Aber eines Nachmittags, kurz vor dem Auslaufen meines Arbeitsvertrags, ging ich draußen spazieren. Es war ein kalter Tag. Und plötzlich tauchte Annie auf. Sie ging in meine Richtung; sie wollte zu einem Wollgeschäft in der Innenstadt.
»Kommst du mit?«, fragte sie.
»Klar«, sagte ich. Damals steckte ich gerade in einer besonders unglücklichen Partnerschaft. Wir schlenderten und plauderten, und dabei erkannte ich, dass meine Beziehung eine Katastrophe war und ich mit der Frau zusammen sein sollte, die gerade neben mir ging. Wenig später verließ ich die Firma, bald danach ging die schwierige Beziehung in die Brüche. Ich rief eine gemeinsame Bekannte von Annie und mir im Verlag an und bat sie, sich mal umzuhören. Mich interessierte, ob Annie einen Freund hatte.
»Tut mir leid«, sagte sie mir. »Sie ist mit einem Typen aus England zusammen, einem ›Roadie‹ oder so was.«
Na toll, dachte ich. Mein Konkurrent ist also total Rock’n’ Roll. Exotisch. Und hat obendrein diesen süßen Akzent. Und ich bin vierundzwanzig, wohne bei meinen Eltern und lebe von Aushilfsjobs. Ich vergaß Annie nicht, wurstelte aber ohne sie weiter vor mich hin. Ich hatte mehrere spektakulär erfolglose Rendezvous mit Frauen, trank zu viel, glotzte regelmäßig Twin Peaks und meine Lieblingsserie Get a Life , in der Chris Elliott einen dreißigjährigen Zeitungsjungen spielt, der über der Garage seines Elternhauses wohnt. Das sprach mich an.
Tut es immer noch.
Während dieser verwirrenden 1990er bewarb ich mich auf eine Anzeige meiner Heimatzeitung Daily Local News
hin als freier Reporter. Ich schickte der Chefredakteurin einige lächerliche Kurzgeschichten, die ich geschrieben hatte. Sie meldete sich trotzdem.
»Ich gebe dir eine Chance«, erklärte sie. »Schau doch mal in der Redaktion vorbei, dann unterhalten wir uns über einen Auftrag.«
In der Sekunde, als ich die Redaktionsräume
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