100 Tage Sex
Stufenbarren-Turnerin zu sein. Na ja, vielleicht doch eher wie ein Mann in mittleren Jahren, der seit kurzem wieder Stretching betreibt. Aber immerhin.
»Die Feder«, begann Annie, nachdem wir unter die Decke geschlüpft waren. »Vor drei Monaten hätte ich sie wohl kaum benutzt. Sie liegt ja schon ein Jahr herum.«
»Ohne unser Sexabenteuer wäre sie sicher in der Schachtel geblieben, davon kann man ausgehen.«
In dieser neunten Woche hatten wir in meinen Augen wichtige Fortschritte gemacht. Das Spielerische war uns auch vorher schon immer wichtig gewesen, aber jetzt lie ßen wir ihm bewusst freieren Lauf. Wir gingen offener miteinander um, und das hatte uns einander nähergebracht und die Erotik befördert. Wenn wir uns stritten, waren wir einander nicht lange böse. Für guten Sex braucht es einiges - gegenseitige Anziehung, Energie, Zeit usw. -, vor allem aber Kommunikation, das solide Fundament für alles andere. Wir hatten unseren Ärger überwunden, indem wir darüber redeten. Und danach ging’s ab ins Bett. Wir tauschten uns offen über unsere Vorlieben und Abneigungen aus, wir brachten uns gegenseitig zum Lachen, wir redeten über unsere Träume, wir redeten, redeten, redeten, und dann redeten wir noch mehr.
11
Der erste Schritt
ALLMÄHLICH WURDEN DIE TAGE LÄNGER, und die Tundra taute zögerlich. Morgens lag ich im Bett und blickte lächelnd zum Fenster hinaus. Ich war glücklich.
»Jetzt kommen wichtige zehn Tage«, sagte Annie. »Wir sind weit über die Hälfte hinaus. Ich glaube, wir schaffen es.«
»Ich fühle mich stark«, erklärte ich. »Ehrlich gesagt, war ich nicht so zuversichtlich, bevor es losging.«
Wir hatten den Sex - selbst eine körperliche Anstrengung - in eine Menge Sport eingebettet: Wir wanderten, Annie trieb sehr viel Yoga und ich machte Hanteltraining und lief. Ich joggte schon lange leidenschaftlich, und jetzt war der Drang, Yoga zu machen, ebenso groß geworden. Mein Körper fühlte sich an, als hätte ich in einem Jungbrunnen gebadet. Ich konnte meine Glieder biegen und bewegen, wie seit Jahren nicht mehr. Ich hatte auch ein paar Pfund abgenommen, Annie noch mehr. Inzwischen wog sie gut zwei Kilo weniger als vor dem Marathon. Beide glaubten wir nicht, dass der Marathon für den Gewichtsverlust verantwortlich war, schließlich hatten wir unsere Ernährung nicht gravierend verändert. Ich aß abends
vielleicht ein bisschen weniger, aber der Unterschied war kaum der Rede wert. Nein, wir nahmen ab, weil wir unseren vorher lange vernachlässigten Körpern wieder mehr Aufmerksamkeit schenkten. Der Sex hatte Annie angeregt, es mal mit Yoga zu probieren. Es stärkte Rumpf und Gliedmaßen und gab uns einen Energieschub für den täglichen Sex. Das wiederum spornte uns an, Yoga wirklich ernst zu nehmen, uns gesund zu ernähren und so fort. Eine wunderbare Rückkopplung.
Noch durften wir uns aber nicht zurücklehnen. Es blieben noch etwa fünf Wochen bis zum Ziel, angesichts der Anforderungen - täglicher Sex - ein durchaus anstrengender Weg. An diesem herrlichen Tag ging Annie mit den Mädchen in einen nahe gelegenen Park, ich blieb daheim und nahm mir noch einmal Tantrischer Sex für Dummies vor. Ich las das Buch ganz durch, in der Hoffnung, etwas Neues zu finden, mit dem ich unser abendliches Techtelmechtel beleben könnte. Als ich damit fertig war, schwang ich mich auf mein Skateboard und rollte hinüber zum Park. Dort spielten wir noch zusammen, stellten uns zum Beispiel alle gleichzeitig aufs Skateboard und sausten die kleinen Hügel hinunter.
Später kam Vicki, die Babysitterin, und ich setzte mich mit Annie ins Café ab. Dort spielten sie Musik aus meiner Jugend in den 1980ern, »Riding on the Metro« und »Tainted Love«. Alles stand zum Besten. Annie schrieb lächelnd Tagebuch. Ich fühlte mich quicklebendig. Der Frühling stand vor der Tür, und ich saß in einem Raum voller Leute, die nach Leibeskräften rauchten. Ich hätte eine Arie schmettern können (wobei ich wegen der dichten Rauchwolken wahrscheinlich einen Hustenanfall bekommen
hätte). Doch als ich die graffitiverzierte Toilette besuchen musste, änderte sich alles.
Plötzlich begann sich der Raum um mich zu drehen. Ich musste mich an der Wand abstützen und schloss die Augen. Als ich sie wieder öffnete, drehte sich die Welt noch immer, alles um mich herum hatte sich grotesk verzogen. Ich fürchtete zusammenzubrechen. Dann verlangsamte sich der Wirbel wie bei einem auslaufenden Karussell. Er stoppte. Ich
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