100 Tage Sex
ßerdem war der Zeitungsmarkt inzwischen weitgehend zusammengebrochen, und ich konnte von Glück reden, überhaupt einen Job zu haben. Die Aussichten, eine neue Stellung zu finden, waren mehr als mäßig. Seit wir nach Denver gezogen waren, rang ich mit diesem Ort, aber jetzt, nach sechzig Tagen Marathon, fühlte es sich an, als habe der Kampf sich erschöpft.
Nach dem Aufwachen merkte ich schnell, dass ich nicht ins Büro gehen konnte. Meine Gelenke schmerzten, mein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Beton ausgegossen worden. Alle paar Minuten musste ich mich schnäuzen. Hätte Joni nicht noch 38 Grad Fieber gehabt, wäre ich vielleicht trotzdem ins Büro gefahren. Aber so konnte ich Annie entlasten, indem ich daheimblieb und mich um Joni kümmerte. Sie zog zu mir ins Bett, wo wir stundenlang in Pyjamas und dicken Socken spielten. Wir redeten ohne Punkt und Komma, hauptsächlich darüber, dass wir bald in ein tolles Haus ziehen würden, mit Garten, Hund und Katzen.
»Auch mit Hamstern, Daddy?«
»Klar doch. Mit Hamstern. Schildkröten. Einer Eidechse. Was du willst.«
Wir verbrachten eine magische Zeit miteinander, die ich wirklich genoss. Joni hatte sich in den zwei Jahren seit
unserem Umzug aus Baltimore verändert. Sie hatte das große alte Haus in »Charm City« geliebt, regelmäßig die in der Nähe lebende Verwandtschaft besucht und gute Freunde gefunden, und dann über Nacht alles zurücklassen müssen. Nur wenige Dinge in meinem Leben haben mir solche Schuldgefühle verursacht wie dieser Umzug. Jetzt, zwei Jahre später, hatte Joni sich weiterentwickelt. Sie vermisste ihre frühere Heimat zwar noch immer, fühlte sich hier aber zunehmend zu Hause. Am Abend las ich Ginger vor, dann spielte ich eine Zeit lang mit Joni - Uno, Kniffel und Mensch-ärgere-dich-nicht. Sie gewann jedes Spiel. Ich brachte sie zu Bett und ließ mir ein heißes Bad ein, in das ich Bittersalz gab. Ich legte mich in die Wanne, las eine Zeitschrift und hoffte, die Hitze würde meine Krankheit vertreiben. Danach stieg ich kurz unter die Dusche, um das Badewasser abzuspülen, und wanderte zum Bett. Dort saß Annie und las etwas auf ihrem Laptop.
»Was liest du, Schatz?«
»Erotische Geschichten«, antwortete sie. »Sex langweilt mich allmählich.«
Das traf mich hart. Die kleine Flamme der Lust, die ich angefacht und behütet hatte, erstarb.
»Langweilt dich?«, krächzte ich.
»Heute habe ich überhaupt keine Lust«, sagte sie. »Merkwürdig. Gerade noch lief es prima, wir flogen nur so dahin, und dann ging mir schlagartig der Sprit aus.«
»Mist«, sagte ich. »Und, helfen die erotischen Geschichten?«
»Nicht besonders«, antwortete sie. »Sie sind nicht so schlecht, aber ehrlich gesagt, würde ich lieber mein Yogabuch lesen.«
Ein paar Minuten vergingen.
»War’s das?«, fragte ich. »Lassen wir es gut sein?«
Ihre Augenbrauen hoben sich »Spinnst du? Dafür sind wir schon viel zu weit gekommen. Ich gebe doch jetzt nicht mehr auf.« »Puh!«
Lang lagen wir nebeneinander, mein Kinn auf ihrer Schulter, und unterhielten uns.
»Weißt du, was fast da ist?«, fragte Annie.
»Frühling?«
»Mein Geburtstag!«, rief sie. Das war nur die erste Warnung, der in den nächsten Wochen noch etliche folgen würden.
»Ein sehr wichtiger Tag«, betonte ich.
»Ich überlege schon, was ich da unternehmen könnte. Vielleicht nach Boulder fahren. Ein bisschen einkaufen. Mir einen Cappuccino gönnen. Möglicherweise Yoga.«
»Ein Tag ganz nach deinem Geschmack«, fasste ich zusammen.
»Genau. Wie heute«, sagte sie. »Vielen Dank, dass du auf Joni aufgepasst hast.«
»Es war ein toller Tag«, antwortete ich. »Ich bin so froh, dass ich daheimgeblieben bin.«
»Schön«, freute sich Annie. »Es hätte mich wahrscheinlich zerrissen, wenn ich schon wieder einen Arbeitstag verloren hätte.«
»Kann ich mir vorstellen.«
Annie liebte es, Mutter zu sein, aber der Abschied aus dem Berufsleben war ihr unheimlich schwergefallen. Bis sie den Pasta-Job annahm, hatte sie seit Jonis Geburt kaum je Zeit für sich allein gehabt. Nun war das Yoga wie ein
rettender Engel in ihr Leben getreten. Dabei gefiel ihr nicht nur das Training, sondern vor allem auch die Tatsache, dass sie Zeit für sich hatte, eigenen Gedanken nachhängen konnte. »Das habe ich so vermisst. Mich ganz auf etwas zu konzentrieren, darin zu versinken. Ich zu sein.«
»Mir geht es genauso«, bestätigte ich. »Im Büro tauche ich oft den ganzen Tag völlig in die Arbeit
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