1.000 Euro für jeden
Pastor einer kleinen Gemeinde zu sein. An Bedeutung, Charisma und Willenskraft steht er Desmond Tutu, Erzbischof von Südafrika, in nichts nach, nur sanfter ist er in seiner Bestimmtheit. Seit 2002 ist er Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Republik Namibia und hat mit seinem Amtsantritt die Idee der unabhängigen Kommission aufgegriffen und eine beachtliche gesellschaftliche Koalition für ein Pilotprojekt des Basic Income Grant (BIG)auf die Beine gestellt. All denjenigen, die, wie in anderen Ländern auch, diesen Gedanken für irreal und unbezahlbar hielten, wollte er den praktischen Gegenbeweis liefern.
BIG-Koalition. Von Afrika lernen!
Es bildete sich eine Koalition aus einem überkonfessionellen Kirchenrat, Gewerkschaften und einem Bündnis von Nicht-Regierungsorganisationen, darunter Jugend- und Anti-AIDS-Initiativen Namibias; von Deutschland wurde das Projekt finanziell und teils personell durch die Vereinigte Evangelische Mission (VEM), die Rheinische sowie die Westfälische Kirche und Brot für die Welt unterstützt. Hinzu kamen weltweite Einzelspenden, wenige auch aus Namibia selbst. Darunter eine des ehemaligen namibischen Premierministers und jetzigen Handels- und Industrieministers Hage Geingob.
Das Dorf Otjivero wurde nach längerer Recherche für das weltweit größte Pilotprojekt des bedingungslosen Grundeinkommens ausgewählt, weil es multiethnisch ist, was aufgrund der Homeland-Politik, die streng nach Abstammung segregierte, eher die Ausnahme ist. Typisch aber ist es hinsichtlich Armut, hoher Arbeitslosigkeit, großer Anzahl alleinerziehender Mütter mit HIV und einer erschreckend hohen Anzahl unterernährter Kinder. Die Bewohner, viele von ihnen entlassene Farmarbeiter, werden auf dem Landstrich, der inzwischen in Regierungsbesitz ist, nur geduldet.
Otjivero ist ein einsames Dorf, von allen Seiten durch elektrischeZäune weitläufiger Farmen begrenzt, die unverändert im Besitz von Weißen sind. Die einzige Straße, die ins über 100 Kilometer entfernte Windhoek führt – zu allen lebensnotwendigen Einrichtungen wie Krankenhäusern, weiterführenden Schulen, Administration, Justiz und Großhandel –, ist mehrere Kilometer entfernt. Über 100 Kilometer sind es wiederum in die andere Richtung nach Gobabis, der Regionalhauptstadt. Eine schier unüberwindliche Strecke, seit man den Otjiveranern den Eisenbahnanschluss wegnahm, weil ihre Kaufkraft zu gering war. Herbert Jauch, ein Sprecher der BIG-Koalition, erzählt auf seiner Vortragsreise durch Deutschland im Frühjahr 2010: »Wir sagten: Wenn das BIG dort etwas verändern kann, dann kann es überall etwas verändern. Denn schwierigere Bedingungen als hier kann man nirgends finden!«
Im Sommer 2007 riefen die Dorfautoritäten alle unter dem großen Kameldornbaum zusammen, und Bischof Kameeta stellte ihnen eine Idee vor, für deren Realisierung er sie brauchen würde. Kameeta erzählte von Gleichnissen, von Manna in der Wüste und der Speisung der 5000, erklärte, dass das Teilen kein Akt der Barmherzigkeit, sondern der Gerechtigkeit sei und dass es eben darum beim Basic Income Grant (BIG) ginge. Und er wandte sich entschieden gegen ein falsches Gegensatzpaar, das auch in der evangelischen Kirche oft benutzt würde: die Opposition von »Gib den Menschen einen Fisch« und »Lehre die Menschen zu fischen«. In Wahrheit wüssten die Menschen sehr gut zu fischen, wenn sie nur eine Angel hätten und einen Zugang zu Gewässern! Und das BIG wäre so etwas wie die Angel. Den Zugang zu den Gewässern und die Übertragung des Bodens an die EinwohnerInnen müsste man danach erkämpfen. Zunächst ginge es um einen Akt der Selbstermächtigung, um Freiheit und Eigenverantwortung. Die Skepsisüberwog bei den Menschen in Otjivero, zu oft hatten sie Versprechungen von Regierung und Entwicklungsorganisationen geglaubt, nie hatten sie sich bewahrheitet – plötzlich ein auserwähltes Dorf zu sein klang wie ein Märchen. Die hartnäckigen Zweifler am BIG zog der Bischof schließlich mit der Bemerkung auf seine Seite, dass er den ganzen Weg nicht gemacht habe, um sie zu belügen, dafür sei er zu alt.
Das Pilotprojekt hatte einen zeitlichen Rahmen von zwei Jahren, startete im Januar 2008 und dauerte bis Dezember 2009. Aus dem Dorf bezogen 930 Menschen unterhalb des Rentenalters in dieser Zeit monatlich 100 Namibia-Dollar, also knapp zehn Euro: ein Betrag, der nicht ganz existenzsichernd ist, aber mehr als nur die schlimmste Not zu lindern. Das
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