1001 Nachtschichten
darfst du hier nicht rein«, hat man mich damals angebrüllt, als ich mir was Bequemes anziehen und sofort zu meiner Halle 4 eilen wollte.
»Liebende darf man nicht trennen«, habe ich zurückgeschrien. »Lasst mich durch, ich will zu meiner Halle 4, Ihr gelben Säcke!«
»Lass sofort die Finger von unseren schicken Plastikanzügen, du zerreißt sie ja in Stücke! Dieser Betrieb wird bestreikt, hau ab, du Spinner!«, bauten sich sechs wütende gelbe Säcke vor mir auf.
»Kollegen, ich will mich nicht mit euch streiten, ich will nur zu ihr!«, flehte ich sie an, und mit einem blitzschnellen Sprung versuchte ich über die Außenmauer zu klettern, um doch noch klammheimlich zu ihr zu kommen.
»Alle hierher! Alle hierher! Ein Streikbrecher!«, brüllten die Männer mit den Megafonen am Eingangstor. Zu dritt haben sie mich an den Hosenbeinen gefasst und wieder nach unten gezerrt.
Als man mich dann mit blutender Nase nach Hause schickte, schaute ich noch lange zurück, ob mir meine geliebte Halle 4 hinterherweint. Sie war von diesen gewalttätigen Gewerkschaftlern völlig geschockt und bliebversteinert stehen. Der Einzige, der mir hinterherlief, war mein Arbeitskollege Hans.
»Osman, mach doch keinen Quatsch! Sei doch froh, dass du heute nicht arbeiten brauchst! Geh nach Hause zu deiner Frau«, versuchte er mich zu trösten.
»Meine Frau akzeptiert meine Beziehung zu Halle 4«, schluchzte ich! »Aber was hat bloß diese dämliche IG Metall gegen mich?«
Wir blieben genau siebenunddreißig Tage getrennt! Jeden Tag habe ich mir Halle 4 von der Straße aus acht Stunden lang mit feuchten Augen schmachtend angeschaut. Sie ließ sich von außen nichts anmerken, aber wie es ihr innerlich ging, konnte ich mir leicht ausmalen. Liebende brauchen nicht viele Worte …
Als wir uns nach siebenunddreißig Tagen wieder in den Armen lagen, war es das romantischste Häppy End aller Zeiten! Wochenlang habe ich sie nicht mal in den Pausen verlassen! Damals war Herr Viehtreiber damit auch völlig einverstanden und hatte großes Verständnis für unsere Situation.
Aber mittlerweile hat er sein Herz gegen einen gefühllosen Felsbrocken eingetauscht und will uns für immer trennen!
Völlig geknickt und mit Tränen in den Augen schleiche ich mich auf leisen Sohlen nach draußen …
Auf dem überfüllten Parkdeck des Arbeitsamtes suche ich verzweifelt nach einem Parkplatz, und mit viel Mühe finde ich auch einen, aber erst nach einer Viertelstunde. Es ist zwar die Feuerwehreinfahrt, aber was sollen Feuerwehrleuteum diese Zeit überhaupt beim Arbeitsamt? Die haben doch alle einen sicheren Job – im Gegensatz zu mir.
Danach versuche ich eine ausländerfreie Zone im Arbeitsamt zu finden – aber keine Chance! Das klappt nicht mal nach stundenlangem Suchen.
Wohl nur in der tiefsten Provinz irgendwo in Ostdeutschland wird man diese seltene Oase der Ruhe noch finden können.
Vermutlich haben meine Namensvetter, die Ossis, deshalb viele Gebiete der ehemaligen DDR zu ausländerfreien Zonen erklärt, weil sie ständig von irgendwelchen frechen Türken bedrängt wurden, massenweise Formulare für sie zu übersetzen.
Möglich ist alles, außer dass man im Bremer Arbeitsamt einen ausländerfreien Flur findet.
Egal, wo ich auftauche, ich werde sofort von Menschenmassen belagert, die mir wie ausgeflippte Autogrammjäger erwartungsvoll Stifte und Zettel entgegenstrecken. Nur dass meine Gruupies leider keine hübschen Tiinis mit bauchfreien Tii-Schörts sind, sondern meine ehemaligen Landsleute: alte, hässliche Männer mit dicken Bäuchen. Aber wer weiß, vielleicht sind es ja auch gar keine Landsleute von mir, man sollte nie aufgrund von Farbe oder Länge des Schnurrbartes voreilige Schlüsse ziehen. Aber all das wäre auch nicht so schlimm, wenn ich für diese hässlichen Kerle wenigstens nur Autogramme schreiben müsste und nicht seitenlange Papiere übersetzen oder ellenlange Formulare ausfüllen! Eigentlich müsste das doch verboten werden!
Wobei, Rauchen ist hier auch verboten, aber der Abdulrahman Üstünköylüoğlu qualmt heute wieder schlimmer als die alten Schornsteine von Halle 4 und Halle 3 zusammen!
Ich glaube, in Kürze sieht es hier genauso gemütlich aus wie in einem türkischen Männercafé. Es ist ein weitverbreitetes Vorurteil, dass Türken zum Picknicken einen öffentlichen Park oder eine Wiese bräuchten. Das stimmt nicht, ein Arbeitsamt-Warteraum reicht völlig aus. Nur der obligatorische Tee, die Wasserpfeife und das
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