1001 Nachtschichten
Bäckgämmen-Spiel fehlen.
Aber das ist doch die Idee! Ich werde Kaffeehaus-Betreiber. Ich werde hier im Flur vom Arbeitsamt ein türkisches Männercafé aufmachen. Die Kundschaft ist schon da, ich brauche nur einen anständigen Existenzgründer-Kredit. Und wenn Eminanim im Bauchtanzkostüm das Tee-Servieren übernimmt, würden die Deutschen sich wie im Türkei-Urlaub fühlen.
Nachdem ich genauso wie gestern alle Formulare ausgefüllt und sämtliche Briefe übersetzt habe, ist auch meine Arbeitsamt-Schicht endlich zu Ende. Leider hat inzwischen mein eigener Sachbearbeiter Meisegeier schon längst Feierabend gemacht und sitzt bei seinen fünf Töchtern zu Hause. Das mit dem Sitzen habe ich natürlich nur so dahergesagt. Bei fünf Säuglingen des weiblichen Geschlechts wird der arme Mann in den nächsten Jahren wohl kaum die Gelegenheit dazu haben und wird seine erholsame Bürotätigkeit hier im Zimmer 143 richtig zu schätzen wissen.
Kaum bin ich zu Hause, streckt mir meine Frau auch einen Brief entgegen.
»Nein, Eminanim, nein, nein und nochmals nein! Ich lese heute keine Briefe mehr! Und übersetzen tue ich auch nicht«, wehre ich mich energisch dagegen.
»Ossi, ich weiß, du bist ganz schön kaputt. Aber du musst nichts übersetzen – nur lesen …«
»Ich hab doch eben gesagt, ich weigere mich, heute auch nur noch eine Zeile zu lesen!«
»Also gut, dann lese ich es dir eben vor:
Liebe Frau Engin und lieber Herr Engin, wir bitten Sie höflichst, übermorgen, am Samstag, den 26. Juni, um 19:30 Uhr an unserer Hausversammlung bezüglich des Hundekots im Hausflur teilzunehmen. Das Treffen findet im Wohnzimmer von Frau Fischkopf statt. Im Auftrag der Hausverwaltung, Hausmeister Krummsack.«
»Zum Glück findet diese Versammlung auf neutralem Boden statt«, rufe ich und betrete wieder den Flur, um den aktuellen Stand der Hundekacke eingehend zu betrachten.
Und es gibt tatsächlich eindeutige Fortschritte, die ich eben beim hastigen Reinkommen nicht sofort wahrgenommen habe.
In der heutigen Ausgabe der Tageszeitung, die auf dem Haufen ausgebreitet liegt, sind zwei Löcher, der Schuhgröße 40 entsprechend, ausgeschnitten worden, damit man kein gedopter Weitspringer mehr sein muss, um problemlos auf die andere Seite zu gelangen.
»Die Menschen sind aber so was von egoistisch! Die denken nur an sich«, schimpfe ich enttäuscht.
»Was ist denn nun wieder passiert?«, höre ich aus der Küche.
»Der Ignorant hat die Löcher in der Schuhgröße 40 ausgeschnitten! Was ist mit Leuten wie mir, die 42 tragen? Und er hat auch nicht den Sportteil, sondern die politischen Seiten auf die Kacke draufgelegt!«
»Er ist wohl der Meinung, dass Politik und Kacke viel besser harmonieren«, ruft Mehmet dazwischen. »Zudem fängt das Wort Politik auch mit Po an, und die Politiker labern nichts als Scheiße!«
»Du hast irgendwie recht, die politischen Seiten passen schon besser auf den stinkenden Haufen. Aber es wäre für mich wesentlich attraktiver gewesen, im Vorbeigehen die neuesten Bundesliga-Nachrichten zu lesen!«
»Ihr könnt euch schon die Hände waschen, die Suppe ist fast fertig«, ruft meine Frau aus der Küche.
Während mein Meister jeden Tag wie ein Sultan verwöhnt wird, bekomme ich nur eine lausige Suppe aufgetischt.
Aber ich will mich gar nicht beschweren – ich liebe Suppen! Nicht nur deshalb, weil das die einzige Speise ist, bei der meine Frau mich nicht zwingen kann, mit Messer und Gabel zu essen.
Ich habe das Gefühl, dass in Deutschland der Suppe großes Unrecht getan wird. Hier wird sie nur als Vorspeise abgewertet. In der Türkei gibt es Restaurants, in denen ausschließlich verschiedene Suppensorten angeboten werden. Bei einigen gibt es sogar nur Kuttelsuppe zu essen. Über Geschmäcker darf man bekanntlich nicht streiten.
Mein Lieblingssuppenladen befindet sich in der Kreisstadt,in der mein Onkel Ibrahim wohnt. Im Urlaub bin ich dort Stammkunde. Der Laden heißt 1 0-Finger -Suppenterrine. Der Besitzer bringt jeden Teller einzeln von der Küche zum Gast. Und dabei fasst er den Suppenteller grundsätzlich mit beiden Händen an. Bis er die Teller bei uns auf den Tisch stellt, bleibt bei ihm kein Finger und bei uns kein Auge trocken. Wir lachen uns jedes Mal kaputt darüber, dass er alle seine zehn Finger in unserer Suppe badet. Onkel Ibrahim ist sogar fest davon überzeugt, dass das sein geheimes Erfolgsrezept sei. Nur deshalb würden seine Suppen so viel besser schmecken als bei der Konkurrenz.
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