1001 Nachtschichten
Letzte Woche hatte ich Onkel Ibrahim am Telefon, und er hat fürchterlich geweint, weil die Stadtverwaltung unsere 1 0-Finger -Suppenterrine im Zuge der E U-Angleichung dichtmachen will. In keinem E U-Land seien im Suppenteller zehn Finger gleichzeitig erlaubt. Unser Suppen-Gourmet kämpft zurzeit gerichtlich darum, wenigstens die beiden Daumen in der Suppe baden zu dürfen. Wenn er seinen Laden schließen muss, dann wird in der Kreisstadt demnächst die Stimmung radikal gegen die EU umschlagen. Es ist dann sehr gut möglich, dass eine Volksabstimmung gegen den E U-Beitritt der Türkei dort viel früher stattfindet als in Frankreich, Österreich oder Deutschland. Onkel Ibrahim sagte am Telefon mit bebender Stimme:
»Es tut mir leid, aber die offenen Grenzen können mir dann gestohlen bleiben, Osman. Dich habe ich in Alamanya noch nie besucht, aber zu meinem Suppenladen gehe ich mindestens zweimal die Woche.«
Dann geht endlich die Küchentür auf, und begleitet vonwohlriechenden und appetitlichen Düften ruft Eminanim den schönsten Satz des heutigen Tages:
»Hallo, ihr Nimmersatts, die Suppe ist fertig! Ich hoffe, sie wird euch schmecken!«
Und in der gleichen Sekunde sitze ich am Esstisch. Wenn Zum-Essen-Laufen irgendwann mal zur olympischen Disziplin erklärt wird, dann wäre ich mit Sicherheit nur Silbermedaillengewinner. Denn mein Sohn Mehmet ist leider schon wieder schneller als ich.
»Mehmet, mach dir keine Sorgen, niemand klaut dir deine Suppe«, sage ich spöttisch.
»Wer weiß, wer weiß, so gierig, wie du guckst«,schmatzt er, weil er den ersten Löffel Suppe bereits im Bruchteil einer Sekunde in seinen Mund geschaukelt hat. Und im selben Moment schießen ihm Tränen in die Augen. Jetzt tut es ihm wohl leid, dass er über seinen liebevollen Vater einen so gehässigen Spruch abgelassen hat.
»Was ist denn mit dir, mein Sohn?«, frage ich, um es endlich mal auch aus seinem Munde zu hören.
»Ach, nichts«, murmelt er, »mir ist gerade eingefallen, wie sehr mein Opa diese Linsensuppe mochte. Schade, dass er schon tot ist.«
Ich lehne mich zurück und kippe genüsslich den ersten großen Löffel der dampfenden Linsensuppe in meinen Mund. Und verbrenne mir derart fürchterlich das Maul, dass auf meiner Zunge mit Sicherheit riesige Brandlöcher entstanden sind.
Mir schießen sofort auch Tränen in die Augen
»Vater, was hast du denn, du weinst ja auch. Denkst du auch an Opa?«, ruft Mehmet schadenfroh.
»Ich beklage das grausame Schicksal, dass dein Opa den Löffel abgeben musste und nicht du!«, brülle ich und halte meinen Mund sofort unter den Wasserhahn.
So, jetzt hat er es sich auch noch mit mir verdorben. Mit seiner Mutter steht er nämlich auch schon auf Kriegsfuß.
Mehmet wirft seiner Mutter nämlich vor, alle seine letzten dreizehn Freundinnen systematisch vergrault zu haben, und Eminanim hält dagegen, dass sie alle seine weiblichen Bekanntschaften regelrecht wie Prinzessinnen behandelt hätte, aber es bei seiner ungehobelten Art und Dusseligkeit ja kein Wunder sei, dass ihm die Mädchen scharenweise davonlaufen.
Die Zweitgrößte Nervensäge des Mittleren Orients lässt aber nicht locker – so wie jetzt:
»Mehmet, lade doch deine neue Freundin Ingrid mal ein. Du wirst sehen, es wird sehr schön. Als deine Mutter will ich selbstverständlich deine Freundin kennenlernen.«
»Nur über meine Leiche«, zischt Mehmet.
Ich als Familienoberhaupt und Herr im Haus bin der Meinung …
»Osman, dich fragt keiner … Halt dich da raus, du warst ja noch nie Mutter!«, zischt meine Frau gekränkt, bevor ich den Mund aufgemacht habe.
»Vater, misch dich nicht ein. Das kapierst du ja eh nicht! Dir haben doch noch nie dreizehn Freundinnen hintereinander den Laufpass gegeben«, ruft mein Sohn beleidigt.
»Klar, ihr habt wie immer recht, als ich damals noch Mutter war, habe ich von meinen dreizehn Freundinnen niemals einen Tritt in den Hintern bekommen!«, versucheich ganz schön verkrampft lustig zu sein, um den Streit zu schlichten.
»Papa, du musstest auch nie jeden Abend schon um 6 Uhr zu Hause sein und mit nur läppischen 3 Euro in der Woche irgendwie über die Runden kommen«, wirft mir auch noch meine kleine Tochter Hatice vor. Sie denkt wahrscheinlich, dass das grade eine günstige Gelegenheit ist, wo doch eh alle auf mir rumhacken.
»Osman, das ist doch alles nur deine Schuld«, schiebt Eminanim wie immer in solchen Situationen die ganzen Peters zu mir rüber – insbesondere die
Weitere Kostenlose Bücher