1005 - Im Bann des alten Königs
Frau. Wenn die etwas in dieser Art behauptete, ließ sie sich davon nicht abbringen. »Kannst du das nicht näher erklären? Ich rieche nichts, wirklich nicht.« Er senkte den Kopf und konzentrierte sich auf seinen Geruchssinn.
Ellie bewegte unruhig die Hände auf den Oberschenkeln. »Mmh.«
»Wonach es riecht, will ich wissen.«
Sie hob die Schultern. »Wenn ich dir das sage, vergeht dir der Appetit, glaube ich.«
»Du kannst es ja versuchen.«
»Nach Leichen?« Die Antwort glich mehr einer Frage, und Bull bekam große Augen.
»Wonach?« flüsterte er.
»Glaubst du mir nicht? Ich bin überzeugt, daß es hier nach Leichen riecht, nach Verwesung. Ist zwar komisch, aber ich kann es nicht ändern.«
»Du willst mir den Appetit verderben.«
»Das hatte ich nicht vor.«
»Dann erzähl nicht so einen Mist, denn ich rieche nichts.«
»Das ist dein Problem. Außerdem werde ich jetzt gehen, wenn du nichts dagegen hast.«
»Bestimmt nicht.« Er schüttelte den Kopf. »So ein Quatsch – nach Leichen. Unsinn!«
»Werden hier in der Nähe nicht zwei Tote aufgebahrt?«
»Ja, das stimmt.«
»Also.«
»Aber die riechen nicht.«
»Das sagst du. Habt ihr die Leichen denn auf Eis gelegt?«
»Nein.«
»Dann kann es das sein.« Sie war schon aufgestanden. »Mich jedenfalls hält hier nichts mehr. Ich bin froh, wenn ich wieder in meiner Wohnung bin. Bis später dann.«
»Ja, bis später«, flüsterte Bull hinter seiner Frau her. Er stand nicht auf, sondern starrte zur Tür, die Ellie jetzt öffnete. Aber seine Frau ging nicht nach draußen, sondern zuckte zurück, als wäre sie geschlagen worden.
»Was hast du denn?«
Sie drehte sich wieder um. »Ich weiß nicht, was ich habe. Keine Ahnung. Aber mich hat etwas irritiert. Da ist was an meinem Kopf vorbeigeflogen, glaube ich.«
»Das habe ich nicht gesehen. Bestimmt kein Insekt und erst recht kein Vogel.«
»Das meine ich auch nicht.«
»Was denn, verflixt?«
Ellie stand da und hob die Schultern. »Das kann ich nicht genau sagen«, erklärte sie leise.
Terence stöhnte auf. »Ich weiß nicht, was mit dir los ist. Erst soll es hier nach Leichen riechen, dann willst du mir weismachen, daß etwas hier in die Bude geflogen ist. Ich glaube dir kein Wort. Das ist alles Schwachsinn.«
»Wenn du meinst.«
»Ja, was sonst?«
»Ich gehe dann.«
»Bitte.«
Sehr schnell verschwand Ellie Bull. Sie drehte sich nicht mehr um, so verärgert war sie. Zurück blieb ein Constabler, der nur den Kopf schüttelte. Er hatte eigentlich essen wollen, doch ihm war der Appetit gründlich vergangen. Er verstaute das Essen kurzerhand in seiner Schreibtischschublade.
Er hatte seinen ersten Hunger gestillt. Er würde sehen, wie es weiterging.
Obwohl er an die Worte seiner Frau nicht so recht glauben konnte, hatten sie ihn schon beunruhigt oder zumindest aus seiner Ruhe gebracht. Wenn er genauer darüber nachdachte, dann hatte Ellie recht.
Es gab ja die beiden Leichen im Anbau, dabei handelte es sich nicht um ein Kühlhaus. Die Verwesung schritt also voran. Das konnte man bereits riechen.
Ellie hatte eine sehr empfindliche Nase. Sie roch alles und mochte es auch nicht, wenn in der Wohnung ein anderer Geruch herrschte.
Deshalb standen überall diese Lufterfrischer, auf der Toilette sogar zwei.
Dann war da noch etwas.
Sie war beim Hinausgehen zusammengezuckt. Einfach so. Zudem hatte sie behauptet, daß etwas in das Büro eingedrungen war. Bull kam damit nicht zurecht. Beim besten Willen nicht.
Er stand auf. Das lange Sitzen hatte ihn steif gemacht. Mit müden Schritten ging er um seinen Schreibtisch herum und blieb erst an der Tür zum Flur hin stehen. Er wußte genau, was er wollte, aber er traute sich einfach nicht, sein Vorhaben schon jetzt in die Tat umzusetzen.
Bevor er die Tür öffnete, wollte er sich vergewissern.
Leichengeruch?
Nein! Oder?
Verdammt, die Unruhe in ihm wollte einfach nicht verschwinden.
Bull brauchte Klarheit, er brauchte Beweise.
Deshalb öffnete er auch die Tür und betrat den Gang…
***
Lalibelas Geist war unterwegs. Oder eine gazehafte Erinnerung an ihn. Das Wesen war gestaltlos, es schwamm durch die Luft. Ohne Körper! Es spürte keinen Widerstand, und es brauchte selbst auch einen Widerstand nicht zu fürchten, denn dank seiner neuen Existenz war es in der Lage, überall einzudringen.
Früher einmal war es ein Teil des großen Königs gewesen. Es hatte sich in seinem Blut aufgehalten. Es hatte viel erfahren, war prall gefüllt mit Informationen
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