1006 - Das Palladium
Soll das auch mit uns geschehen?«
»Aber wir sind mehr.«
»Wir können ihn zerschlagen.«
»Laßt uns gehen!«
Da brach bei Mikail der Bann. »Nein!« rief er ihnen so laut zu, daß er über seine eigenen Stimme erschreckte. »Ihr werdet nichts tun. Ihr dürft ihm nicht nachgehen. Die Kapelle ist für euch tabu. Laßt alles, wie es ist. Flieht von hier. Flieht aus dem Land. Redet mit keinem Menschen über das, was ihr hier gesehen habt.« Er war außer sich, schnappte zwischendurch immer wieder nach Luft, schüttelte dabei den Kopf und fragte sich, warum er denn noch versuchte, diese Männer, die auch Mörder waren, aufzuhalten. Schließlich erstickten seine Worte in einem Hustenanfall, und er war still.
Die Templer blickten sich an. Sie hatten alles verstanden, aber sie dachten nicht daran, ihre Pläne aufzugeben. Zu lange und zu intensiv hatten sie sich darauf vorbereitet.
Einer trat vor. Ein kräftiger, wenn auch etwas kleiner, bärtiger Mann mit dunklen, bösen Augen. »Was hast du uns zu sagen, alter Mann? Gar nichts. Wir stehen unter dem Schutz des alten Königs und…«
Mikail lachte auf, obwohl ihm danach wirklich nicht zumute war.
»Ihr steht unter dem Schutz. Lalibelas? Steht ihr das wirklich? Habt ihr nicht gesehen, was geschah? Wie euer Freund plötzlich verdampfte? Wie er zerstrahlte und nur Staub von ihm übrigblieb? Habt ihr das wirklich nicht mehr in Erinnerung?«
»Doch, das haben wir. Aber wir gehen auch in seinem Namen in die Kapelle, um Unheil von unserem Palladium abzuhalten. Das Allerheiligste muß geschützt werden. Und wenn es selbst das Skelett nicht vernichtet, sind eben wir an der Reihe.«
»Ihr werdet sterben«, prophezeite Mikail düster. »Ja, ihr werdet sterben, das weiß ich. Niemand kann euch aufhalten. Ihr werdet schmelzen und vergehen wie Eis in einer Feuerhölle. Es gibt für euch nur die Flucht.«
Der Bärtige hatte zugehört. Er ging vor. Mikail wich zurück. Nicht weit genug.
In Gürtelhöhe raste ein Schatten auf ihn zu, und einen Moment später wühlte sich die Faust des Bärtigen in seinen Leib. Er hatte mit diesem Schlag nicht gerechnet, deshalb traf er ihn doppelt hart.
Plötzlich kriegte er keine Luft mehr. In seinem Leib brannte das Feuer, und die unsichtbaren Flammen stiegen hoch bis zur Kehle, als wollten sie dort ebenfalls alles leerbrennen.
Er taumelte. Die kleine Welt um ihn herum bewegte sich schneller.
Sie fing an zu kreisen, und er hatte den Eindruck, nicht mehr auf dem Boden zu stehen. Etwas trieb ihn weg, dannbrannte noch einmal der Schmerz durch seinen Körper, als ihn der zweite Treffer zu Boden schickte, wo Mikail schwer aufschlug.
Seine rechte Stirnseite hieb gegen den harten Untergrund. Für einen Moment blitzten Sterne vor seinen Augen auf, dann raste etwas Schwarzes auf ihn zu und zerrte ihn hinein in das tiefe und grausame Loch der Bewußtlosigkeit.
Nicht lange.
Tief in seinem Innern steckte eine Kraft, die ihn wieder an die Oberfläche zerrte. Sein normales Bewußtsein gewann den Kampf.
Auch wenn es ihm große Mühe bereitete, er schaffte es, die Augen zu öffnen.
Mikail lag auf dem Boden. Er war nicht in Ordnung. In seinem Magen drehten zahlreiche Teufel ihre glühenden Spieße herum.
Auch der Kopf tat ihm weh. Aber die eigentliche Triebfeder war nicht gerissen. Er sackte nicht zurück in die Bewußtlosigkeit, sondern konnte sich wieder fangen.
Auf seinen Lippen spürte er den Staub, als er mit der Zunge darüber hinwegfuhr. Mühsam richtete er sich ein wenig auf und blieb halb auf der Seite liegen.
Seine Erinnerung hatte nicht gelitten. Mikail war informiert, was sich da ereignet und auch wer ihn niedergeschlagen hatte. Den Bärtigen sah er nicht mehr. Auch die anderen waren verschwunden, doch Mikail wußte, wo er sie zu suchen hatte.
Mühsam, drehte er seinen Kopf in eine bestimmte Richtung. Er sah die Tür der Kapelle, die nicht wieder geschlossen war. Das ging auch nicht, denn soeben überschritt der letzte Templer die Schwelle.
Mikail kniete. Den Kopf hielt er gesenkt. Als er sprach, röchelte er meist. »Sie wollen nicht hören. Sie haben nicht auf mich gehört. Sie haben es getan, verdammt!« Mikail konnte esnicht fassen. Für ihn waren es keine normalen Menschen mehr. Sie hätten hören müssen, sie wußten schließlich, was ihnen bevorstand. Sie hatten genug über die Lade erfahren können, aus alten Schritten und Büchern. Sie mußten einfach wissen, wie gefährlich und auch tödlich sie sein konnte.
Aber sie
Weitere Kostenlose Bücher