1006 - Das Palladium
gingen weiter.
Auch der letzte verschwand in der Kapelle.
Über eine sehr lange Zeit hinweg hatte das Geheimnis der Bundeslade vor fremden Augen versteckt werden können. Das war nun vorbei. Die Kapelle war degradiert worden. Sie war nicht mehr als eine normale, kleine Kirche, in die jeder hineingehen konnte.
Das wurde dem Mann mit Schrecken klar. Auch er fühlte sich verpflichtet, das Allerheiligste vor den fremden Eindringlingen zu schützen. Das konnte er nicht, wenn er am Boden lag.
Es bedurfte schon einer übermenschlichen Anstrengung, um auf die Beine zu kommen. Er taumelte einige Schritte nach vorn. Gebückt und dabei beide Hände gegen die Stelle des Körpers gepreßt, die durch zwei Schläge malträtiert worden war.
Mikail raffte sich auf. Er humpelte. Sein Gesicht war verzerrt. Er drehte es dem dunklen Himmel zu, auf dem sich die unzähligen Sterne so wunderbar abmalten.
Die Schreie stoppten ihn.
Mikail rutschte vor und hob den Kopf an. Dann weiteten sich seine Augen. Auch der Mund wollte sich nicht mehr schließen.
Hin und wieder hatte sich Mikail auch Gedanken über die Hölle gemacht. Er hatte sie sich nie recht vorstellen können, und er hatte auch das alles verzehrende Feuer nicht glauben wollen. Doch jetzt, als er durch die offene Tür in die Kapelle schaute und einen Ausschnitt im Innern sah, da kames ihm vor, als hätte die Hölle ein Tor geöffnet, um ihm etwas zu zeigen.
Die Lade war mächtig.
Die Lade war grausam.
Sie konnte töten.
Sie hatte es schon getan.
Und sie tat es jetzt wieder auf ihre unnachahmliche Art und Weise. Da war die uralte Vergangenheit des Volkes Israel wieder zurück in die Gegenwart geholt worden…
***
Suko fiel gar nicht auf, daß er in seiner Haltung schon der des toten Horace F. Sinclair gleichkam. Er war einfach nur fasziniert, und er konnte noch immer nicht begreifen, was sich in den Augen der Leiche abspielte.
Zweimal sah er das silberne Skelett des Hector de Valois. Es mußte sich aus seinem Sarg erhoben und die Schlucht verlassen haben, um in die magische Aura des ehemaligen Königs Lalibela hineinzugeraten und sie zu stören.
Die veränderten Augen ließen es zu, daß er in eine andere Welt blickte, aber Suko sah trotzdem noch zuwenig. Er entdeckte in den dunklen Pupillen nicht die Umgebung, in der sich die Gestalt bewegte. Er sah sie nur. Sie präsentierte sich ihm, als sollte er sich seinen eigenen Reim darauf machen.
Auch wenn er sich noch so anstrengte, damit kam er nicht zurecht.
Alles war verkehrt. Die Ereignisse hatten nicht nur das Leben auf den Kopf gestellt, sondern auch den Tod des Horace F. Sinclair. Sein Körper kam Suko wie ein Katalysator für die andere Macht vor und fungierte zugleich als magischer Monitor.
Das Skelett war da. Es bewegte sichzwar, aber es kam nicht von der Stelle. Manchmal sah es aus, als wolle es direkt aus den Pupillen hervorschweben, um mit der Knochenhand nach dem Beobachter zu greifen. Auch das passierte nicht. Es blieb da, wo es war, aber es schwächte sich ab. Suko bekam mit, wie die Umrisse allmählich auftauten, als würden sie in die Tiefe der Pupillen hineingesaugt.
Ein schwaches Schimmern noch, dann war nichts mehr von Hector de Valois zu sehen.
Suko hatte gehofft, daß sich die braune Farbe wieder aus den Pupillen zurückziehen würde. Das traf leider nicht zu. Der Tote blieb unter Lalibelas Kontrolle.
Der Inspektor richtete sich wieder auf. Erst jetzt bemerkte er, daß ihm der Schweiß aus sämtlichen Poren gedrungen war. Er fühlte sich mitgenommen, geschwächt, als hätte er einen langen Kampf hinter sich. Er mußte sich einfach bewegen, ging durch den Anbau, schaute gegen die graue Decke, dann auf die Toten, sah die Bretter an der Wand stehen, die Kisten daneben, den kleinen Schrank mit den verschlossenen Türen und kam sich vor wie in einem Film.
Aber es war Wirklichkeit. Da brauchte er nur stehenzubleiben und die kalte Haut der Toten zu berühren.
Noch immer fassungslos schüttelte er den Kopf. Die Ereignisse hatten ihn überrollt, und am meisten ärgerte er sich, daß er außen vorstand und seinen Freund John nicht begleiten konnte.
Das silberne Skelett wollte ihm nicht aus dem Kopf. Es war der Körper des Hector de Valois. So etwas wie er war einmalig, den gab es nicht noch einmal auf der Welt. Suko dachte auch daran, daß John Sinclair einmal als Hector de Valois gelebt hatte. Möglicherweise waren die beiden dabei, gegen die neuen Feinde zu kämpfen odersich bei der Suche nach der
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