1008 - Endloser Schrecken
auch weiterhin um den Tiefpunkt herum schwankten.
Zweige kratzten über das Blech des BMW, als wollten sie mich begrüßen. Über die Frontscheibe huschten Schatten hinweg, erwischten auch mich und legten auf meine Gestalt ein Muster aller Farben und Schattierungen.
Die Enge des Wegs nahm nicht weiter zu. Dafür mußte ich das Auto durch mehrere Kurven lenken, wobei der Wagen Mühe mit dem oft weichen und laubbedeckten Boden hatte. Aber ich blieb nicht stecken und konnte mich immer wieder freiwühlen.
Jede Strecke endete mal. Auch diese hier machte keine Ausnahme.
Die Abstände zwischen den Büschen wurden größer, die Steigung verschwand, und kurz danach sah ich das Ziel.
Es war eine Lichtung. Auf ihr stand eine Grillhütte. Ich fuhr näher heran und lauschte dabei den Geräuschen. Hochfliegende Steine trommelten gegen das Bodenblech. Den Wagen stoppte ich hinter der Hütte und stieg aus.
Neben der Hütte sah ich einen kleinen Stapel Brennholz. Es war feucht geworden und würde sich kaum für ein Grillfeuer eignen. Ich hatte mir den Platz hier nicht ausgesucht, der Zufall hatte mich hergeführt, und ich wußte auch nicht, ob ich hier länger bleiben würde.
Zunächst jedoch wollte ich den Platz nicht verlassen. Hier hatte ich meine Ruhe. Hier konnte ich nachdenken und möglicherweise Entscheidungen treffen.
In der Hüttenmitte stand ein großer, runder Grill. Auch er hatte unter den Wetterbedingungen gelitten. Vor dem nächsten Einsatz mußte er gesäubert und entrostet werden.
Neben dem Grill blieb ich stehen und strich mit beiden Händen durch mein Gesicht. Es war eine Bewegung, die ich einfach tun mußte. Da war ich einem Zwang gefolgt, aber es hatte sich nichts verändert. Ich strich nicht über mein Gesicht, sondern über das meines Vaters. Es war an der Haut zu merken, die anders sein mußte, schon allein wegen des Alters. Sie war längst nicht mehr so straff und glatt, dafür weicher, faltiger.
Sitzplätze waren auch vorhanden. Sie verteilten sich um eine offene Feuerstelle, die aus Steinen gemauert war. Darüber lag ein Grill aus Eisen, und in dieser Höhle schimmerte noch helle Asche, die der Wind nicht weggeweht hatte. Auf zwei Feuerstellen konnte man hier gleichzeitig grillen.
Ich setzte mich auf das feuchte Brett einer primitiven Holzbank und tastete meine Taschen ab. In einer fand ich noch eine Zigarettenpackung. Sie war nicht leer. Drei Stäbchen steckten darin.
Das Rauchen hatte ich so gut wie aufgegeben, hin und wieder allerdings trug ich Glimmstengel mit mir herum, weil ich dem einen oder anderen einen anbieten wollte.
Meine Hände zitterten, als ich mir die Zigarette zwischen die Lippen steckte. Ich zündete sie an. Die kleine Gasflamme zischte leise.
Dann saugte ich den Rauch ein, verzog dabei das Gesicht, mußte auch husten und legte den Kopf zurück, als ich den Rauch gegen die Decke blies. Die Hütte war mit einem Pilzdach bedeckt. Ich blies den Rauch gegen die Streben, die ebenfalls im Laufe der Zeit verschmutzt waren. Zwischen ihnen hatten Spinnen ihre Spuren hinterlassen. Die Netze sahen aus wie dichte Knäuel.
Der Rauch zerflatterte im leichten Wind. Für mich hatte diese natürliche Szene eine gewisse Symbolik, denn ich hatte das Gefühl, daß auch meine Existenz so zerflatterte wie dieser Rauch. Meine Sinne waren empfindlich geworden. Ich nahm noch den Geruch der alten Asche wahr, roch auch das feuchte Holz und ebenfalls die Erde.
Für mich strahlte sie den Geruch eines Friedhofs aus.
In einer Lage wie der meinen konnte ich einfach an nichts anderes denken. Immer wieder erinnerte ich mich an den erlebten Schrecken, an dieses Unwahrscheinliche, an das Gefängnis, in dem ich steckte. Es war kein normaler Knast. Ich konnte mich normal bewegen, ich konnte hingehen, wo ich wollte, und trotzdem umgaben mich unsichtbare Mauern, die ich nicht überwinden konnte.
Hier sang kein Vogel mehr. Es war einfach still. So still wie auf dem Friedhof, der schon am morgigen Tag zur letzten Ruhestätte meiner Eltern werden sollte.
Die Gräber würden noch heute geschaufelt werden. Morgen, gegen Mittag, fand dann die Beerdigung statt. Die Trauergäste aus London würden bald eintreffen. Meine Freunde, die mir bei diesem schweren Gang zur Seite stehen wollten, hatten sich angekündigt.
Ich würde nicht dort sein. Ich konnte einfach nicht dorthin fahren.
Das war unmöglich. Zwar war ich noch ich, aber ich war trotzdem nicht mehr derselbe. Mit dem Gesicht meines toten Vaters sollte ich am
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