1008 - Endloser Schrecken
ich mich quälte, und er ließ mich in Ruhe. Ich stand noch immer neben dem Pfosten und preßte jetzt die Stirn gegen das kühle Holz. Es war so schwer, so verdammt schwer. Ich kam nicht mehr mit den Tatsachen zurecht, und die schlimme Zukunft, die vor mir lag, erinnerte mich an eine Peitsche, die mich geißelte.
»Für dich ist es die einzige Möglichkeit, nicht wahr?« fragte ich.
»Ja.«
Ich starrte Suko an. »Würdest du es denn tun? Würdest du deinem eigenen Vater den Kopf abschlagen, auch wenn er sich bereits unter den Toten befindet?«
Er schwieg.
Genau das gefiel mir nicht. »Bitte, Suko, ich habe dich etwas gefragt. Würdest du es tun?«
»Ja, ich würde es tun, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gäbe. Schon allen wegen mir, denn mein Leben geht weiter. Nicht das meines Vaters. Daran solltest du denken.«
»Was meinst du, was ich die ganze Zeit über tue. Nur will ich es nicht akzeptieren.«
»Siehst du denn einen anderen Ausweg?«
Ich hob die Schultern.
»Was riet dir Donata?«
»Das gleiche, Suko. Aber ich setze trotzdem auf sie. Von ihr habe ich erfahren, daß sich Lalibelas Geist in der Sphäre aufhält, in der auch sie sich befindet. Ich habe ihn nicht zerstören können, nicht endgültig. Er wurde nur vertrieben. Er lauert, er wartet darauf, daß er wieder zurückkehren kann.«
»Und dann?«
»Kann ich nur beten.«
»Oder ihn für alle Zeiten zerstören«, sagte Suko. »Die Möglichkeit solltest du nicht außer acht lassen.«
»Glaubst du daran?«
»Was bleibt denn sonst?«
»Keine Ahnung.«
»Eben, John, und deshalb sollten wir auch diesen Ort hier so rasch wie möglich verlassen. Es bringt nichts, wenn wir uns in Theorien oder Vorwürfen ergehen. Deshalb sollten wir es auf einen Versuch ankommen lassen. Nimm dein Schwert mit.«
Ich brauchte nicht zu fragen, was Suko damit meinte. Er wollte wieder zurück in die Leichenhalle, und er drängte mich diesmal, bevor die eigentlichen Rituale zur Beerdigung anliefen.
»Einverstanden?«
Ich hob die Schultern. »Habe ich eine Wahl?«
Suko lächelte. »Doch, John, die hast du. Du kannst wählen, ob du vor oder hinter mir herfahren möchtest.«
»Hinter dir.«
»Okay, dann Abmarsch!« Er ging noch nicht und sagte: »Ich kann dich ja verstehen, John, sogar sehr gut, aber sich hier zu verstecken, ist auch keine Lösung.«
Da gab ich ihm recht, auch wenn es mir schwerfiel…
***
Wir waren wieder nach Lauder gefahren, aber wir hatten die normalen Straßen gemieden und statt dessen Nebenstraßen benutzt.
Ich hatte mich an Sukos Wagen gehängt, aber mit meinen Gedanken war ich überall, nur nicht bei der Fahrt. Es bereitete mir mehr als Magendrücken, wieder einmal die Leichenhalle zu betreten und den Kopf meines Vaters zu betrachten. War es tatsächlich ein Totenschädel aus gelblichem Gebein?
Das war die große Frage, denn irgendwo mußte sich ja auch mein Gesicht befinden. Den Austausch konnte ich mir sowieso nicht vorstellen, das war ungeheuerlich. So überprüfte ich während der Fahrt, ob ich noch das Gesicht meines Vaters hatte. Immer wieder strich ich mit der Hand darüber hinweg. Ich befühlte und knetete die ältere Haut. Ja, es war noch das Gesicht. Es gab einfach kein Zurück für mich, und daran hatte ich zu knacken.
Es begegneten uns nicht viele Fahrzeuge auf dem Weg nach Lauder. Und wenn, dann achteten die Fahrer nicht darauf, wer ihnen da entgegenkam. Der Friedhof rückte näher und damit auch das eigentliche Ziel. Wir parkten so, daß wir den Bau mit wenigen Schritten erreichen konnten. Dem Geistlichen im nahen Pfarrhaus hatten wir nicht Bescheid gegeben. Er würde diese Dinge sowieso nicht verstehen.
Ein kleiner Transporter stand an der Längsseite der Halle. Zwei Männer waren dabei, Kränze abzuladen. Letzte Grüße an die beiden Toten, die auf eine Elektrokarre gelegt wurden. Der Blumenschmuck würde die Särge in der Leichenhalle und später die Gräber verzieren.
Es versetzte mir schon einen Stich, als ich diese Szene sah. Sie war mir nicht neu, doch nie zuvor war ich so direkt und so persönlich davon betroffen. Während ich die Autotür zuschlug, sprach Suko mit zwei Männern in grauen Kitteln, die gerade eine Pause eingelegt hatten, Kaffee tranken und Sandwichs aßen.
Ich kannte die Männer vom Ansehen her. Sie würden auch mich kennen, nur wollte ich nicht, daß sie mich in dieser Veränderung sahen, deshalb drehte ich mich zur Seite.
Beide sprachen laut. Sie unterstrichen ihre Sätze mit Hand- und
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