1008 - Endloser Schrecken
Kopfbewegungen, deuteten auf die Leichenhalle und schüttelten die Köpfe. Es sah für mich so aus, als wollten sie den unheimlichen Totenraum auf keinen Fall betreten.
Schließlich hatte sich auch Suko dazu entschlossen, ihnen recht zu geben. Er nickte ihnen zu, und sie nickten zurück.
Ich wartete gespannt auf meinen Freund, der zu mir kam und mir von der Unterhaltung berichtete. »Die beiden haben Angst«, sagte er. »Schreckliche Angst.«
»Wovor?«
»Ist doch klar. Vor deinem Vater, John. Sie begreifen nicht, daß der Mann, den sie ja nun auch kennen, ein anderes Gesicht bekommen hat.«
Ich runzelte die Stirn und fragte: »Hast du Gesicht gesagt?«
»Ja.«
»Mein Vater hat kein Gesicht mehr.«
»Was heißt das?«
»Er hat einen Totenkopf.«
»Ach so, ja…«
»Aber die haben Gesicht gesagt?«
»Da bin ich mir sicher. Soll ich ihnen nachgehen und sie noch einmal fragen?«
»Nein, Suko, das ist nicht nötig. Davon möchte ich mich selbst überzeugen.«
»Ich auch.«
So forsch die Antwort auch geklungen hatte, wir waren es nicht.
Zumindest ich nicht, denn meine Knie zitterten schon, obwohl ich mit schnellen Schritten auf die Leichenhalle zulief, weil ich es endlich hinter mich bringen wollte.
Ich betrat das Gebäude, das allmählich zu einem Trauma für mich wurde, noch vor Suko und hielt ihm die Tür auf.
Er schob sich in die Halle hinein.
Ich war ebenfalls stehengeblieben und setzte mich wieder diesem typischen Geruch aus. Der Gestank des Todes war einfach widerlich.
Die beiden Särge waren bereits geschlossen worden. Ob sie zur Trauerfeier wieder geöffnet wurden, konnte ich nicht sagen. Ich jedenfalls war nicht dafür.
Wir blieben in ihrer Nähe stehen. Durch die oberen Fenster fielen schmale Lichtstreifen, in denen Staubpartikel sichtbar wurden. Suko deutete auf den linken Sarg. »Ist er das?«
»Ja, aber das weiß du doch.«
»Soll ich den Deckel hochheben?«
Ich nickte nur. In meiner Kehle klemmte plötzlich der dicke Kloß.
Die Augen brannten, mein Herz schlug schneller als sonst, und jeder Schlag tat auch weh.
Suko machte sich an die Arbeit. Ich wußte nicht, was ich denken sollte, aber wieder kam mir Donatas Lösung in den Sinn. Sie hatte davon gesprochen, daß der Kopf abgeschlagen werden sollte. Dazu war ich nicht in der Lage, denn ich hatte das Schwert des Salomo bewußt im Auto gelassen.
Es waren dunkelbraune Särge ausgewählt worden. Nicht die teuersten, auch nicht die billigsten. Irgendwo in der Mitte lag die Qualität.
»Ich bin soweit«, sagte Suko.
»Okay.« Ich nickte ihm zu.
Suko hob langsam den Sargdeckel an. Ich stand so, daß ich in das Unterteil hineinschauen konnte. Die Sekunde der Entscheidung war nahe.
Suko hatte sich weggedreht, als wollte er mir den ersten Blick in den Sarg lassen.
Es lag jemand darin.
Ein Toter, der allerdings keinen Knochenschädel mehr hatte, sondern einen normalen Kopf.
Wenn auch mit einem fremden Gesicht.
Fremd?
Für den Toten schon, aber nicht für mich, denn ich starrte auf mein eigenes Gesicht, das nun meinem toten Vater gehörte.
Damit war Lalibelas Rache perfekt geworden!
***
Ich sah nicht, wie Suko den Sargdeckel hochstellte, ich starrte nur in die Tiefe, wo mein Vater mit meinem Gesicht lag, das ebensowenig zu ihm paßte wie das seine zu mir.
Es war keine Täuschung. Es stimmte tatsächlich. Horace F. Sinclair hatte keinen Totenschädel mehr. Ich sah auch nicht sein Gesicht, sondern das meinige. Ich blickte in meine eigenen Augen. Ich betrachtete meinen eigenen Mund, meine Nase, die Stirn, meine Haare…
Mir wurde übel. Die Angst, den Vater mit meinem Gesicht begraben zu müssen, machte mir unheimlich zu schaffen. Das war kaum zu beschreiben. Es glich schon einem mittelgroßen Wunder, daß ich noch nicht in Ohnmacht gefallen war.
Noch nicht…
Aber die Umgebung veränderte sich bereits. Sie drehte sich vor meinen Augen. Sie fing an zu tanzen. Der Boden verwandelte sich in ein Meer, dessen Wellen mich mitrissen.
Mein Gesicht kreiste. Zunächst langsam, dann immer schneller, und es geriet hinein in einen wilden Wirbel, dem auch ich nicht entkommen konnte.
Ich torkelte nach links weg, suchte noch Halt, brach aber zusammen.
Zum Glück fingen mich Sukos Hände ab. Ich hörte meinen Freund sprechen, ohne allerdings zu verstehen, was er mir sagte. In diesen fürchterlichen Augenblicken konnte ich nur froh sein, ihn an meiner Seite zu haben, sonst wäre es mir noch schlechter ergangen.
Suko drückte mich so weit
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