101 - Das Narbengesicht
töten. Doch eine blitzschnelle Kehrtwendung rettete den Unheimlichen. Der Dolch prallte gegen die Schwertklinge und fiel zu Boden.
Auch der zweite Freak wollte sein Leben teuer verkaufen. Seine gelben Augen funkelten wild, und der dunkle Zottelpelz verlieh ihm etwas Raubtierhaftes. Er schlich gebückt mehrmals um den Samurei herum. Seine Arme waren leicht abgewinkelt Unverhofft schnellte er sich mit einem Panthersprung vom Boden ab und prallte gegen den Samurai. Seine Hände verkrallten sich am Hals des Gegners. Dabei fauchte und knurrte er wie ein Raubtier. Schweiß sickerte unter seinem Fell hervor. Der Samurai verlagerte geschickt das Gewicht und rammte dem Tierischen das rechte Knie in den Unterleib. Der Freak schrie gellend auf und ließ los. Der Samurai wartete nicht auf den zweiten Angriff. Er riß das Schwert mit einem shimo-tate-wari - einem Spalthieb von unten - hoch. Das Grollen des Freaks brach augenblicklich ab. Tödliche Stille breitete sich aus. Mit einer ruckhaften Bewegung löste der Samurai die Klinge aus dem Leichnam.
Wo steckte Jesse, der Anführer der Freaks?
Der Samurai stand schweigend da. Als der Mond hinter den Wolken hervorkam, wurde der Park in matten Silberschein getaucht.
Jesse sprang in den Schatten einer Baumgruppe zurück. In der Hoffnung, der Samurai habe ihn nicht gesehen, kauerte er sich nieder.
Tausend Gedanken schossen dem Narbengesichtigen durch den Kopf. Der Samurai war verschwunden. Ob er ihn verschonen würde? Er hatte seine Begleiter getötet. Das mußte seinen Blutrausch befriedigt haben.
Tiefe Niedergeschlagenheit überkam den Freak.
Er ahnte, daß er dem geheimnisvollen Kopf nicht länger dienen konnte. Der Schwarze Samurai war mächtiger, als er angenommen hatte. Er wußte nicht, wie er ihn daran hindern konnte, das Tomokirimaru zu erbeuten.
Plötzlich wurde er mit Urgewalt hochgerissen. Er verlor den Boden unter den Füßen und zappelte in der Luft. Dann landete er auf allen vieren. Als er sich umdrehte, sah er den Schwarzen Samurai vor sich stehen. Er schnappte hilflos nach Luft und wußte, daß er am Ende war. Seine blutunterlaufenen Augen bettelten den Samurai an.
„Du darfst mich nicht töten! Ich bin wehrlos. Du verstößt gegen die Ehre der Samurais."
Bevor sich Tomotada, der Samurai, entschieden hatte, schrillten Polizeisirenen durch den Park. Zwischen den Bäumen sah man das Blitzen mehrerer Taschenlampen. Stimmengewirr ertönte, und irgendwo im Hintergrund kläfften Hunde.
Der Samurai wußte, daß man auf sein blutiges Treiben aufmerksam geworden war. Vermutlich hatte das junge Paar die Polizei alarmiert. Jetzt durchkämmten sie den ganzen Park nach ihm. In dieser Nacht würde er das Schwert Tomokirimaru nicht zurückholen können.
Als Jesse davonkriechen wollte, bohrte er ihm den rechten Fuß zwischen die Rippen.
„Du bleibst hier!"
Jesse erschauerte. Er kämpfte sich mühsam auf die Beine. Diesmal preßte ihn der Samurai gegen einen Baumstamm. Er nahm das Schwert und drückte die scharfe Klinge gegen Jesses Hals. Der Narbige konnte sich nicht bewegen. Sonst hätte er sich selbst die Kehle durchgeschnitten.
Tomotada nahm die schwere Eisenmaske vom Kopf.
„Das Erbe der Mujina!" schrie Jesse gellend. Dann versagte ihm seine Stimme den Dienst. Es wurde dunkel um ihn, als er den eiförmigen Kopf des Samurai erblickte, der kein Gesicht besaß.
Der bloße Anblick genügte, sein eigenes Gesicht ebenfalls verschwinden zu lassen.
Jesse konnte nichts mehr hören und nichts mehr sehen.
Jetzt drehte Tomotada die Maske herum. In der inneren Wölbung existierte das eigentliche Gesicht des Schwarzen Samurai. Es konnte sprechen, hören, sehen und riechen. Die Gesichtszüge lebten auf geheimnisvolle Art und Weise.
Langsam näherte Tomotada das Dämonengesicht Jesses Kopf. Dann preßte er es fest gegen die eiglatte Gesichtshälfte des Freak. Ein Zittern durchlief den mißgestalteten Körper. Die Arme zuckten konvulsivisch. Dann hatte Jesse wieder sein Gesicht.
Tomotada wandte sich ab und setzte die Eisenmaske wieder auf.
Schweigend musterte er den Freak, der die langen zusammengestückelten Arme schlaff herunterhängen ließ.
„Du bist mein Sklave!"
„Ich bin dein Sklave, Herr", wiederholte Jesse tonlos. „Wenn ich nicht mehr bei dir sein darf, werde ich mich töten. Du bist mein Meister. Du bestimmst über mein Leben. Dir muß ich gehorchen."
„Gut", erwiderte der Samurai. „Du hilfst mir, den Willen meines Daimyos zu erfüllen. Doch zunächst
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