101 - Das Narbengesicht
Wichtiges herausgefunden hat, könnte er leicht in eine Falle geraten. Ich würde mir ewig Vorwürfe machen, denn Abi ist auf meinen Anruf hin nach T okio gekommen."
Dieses Satansweib! dachte Abi Flindt verbittert. Sie hat Dorian Hunter schnell vergessen. Jetzt tröstet sie sich mit dem Rothaarigen. Wenn der Bursche wenigstens Format hätte … Er sieht Dorian nicht mal ähnlich. Er ist nichts weiter als eine halbe Portion.
Abi Flindt konnte nicht ahnen, daß sich Dorian Hunter hinter der Maske des Richard Steiner verbarg.
Flindt empfand unbändigen Haß auf Coco Zamis. Er beobachtete sie schon eine ganze Weile. Coco und Steiner turtelten wie ein frisch verliebtes Paar. Ungeniert küßten sie sich in aller Öffentlichkeit. Coco schien keinen Augenblick um Dorian getrauert zu haben.
Für Abi Flindt war der Dämonenkiller mehr als nur ein bloßes Vorbild gewesen. Bei ihm hatte Flindt eine Lebensaufgabe gefunden. Er eiferte Dorian Hunter nach, und nun wollte er in die Fußstapfen des Dämonenkillers treten. Er war der Ansicht, daß Coco Zamis und Hideyoshi Hojo der dämonischen Verschwörung in Japan kaum auf die Spur kommen würden. Deshalb wollte er die Spur des Bösen aufnehmen und den Fall bearbeiten.
Ich kriege dich schon! sagte er zu sich. Und wenn ich ganz Tokio auf den Kopf stellen muß.
Abi Flindt meinte damit den Narbigen. Gleich nach seiner Ankunft im Museum war ihm der Mann aufgefallen. Er hatte sich zu auffällig um das Samuraischwert gekümmert.
Abi hatte von den Vorfällen der letzten Nacht aus der Tagespresse erfahren.
Anscheinend sind zwei Gruppen hinter dem Schwert her, dachte er. Einmal der Schwarze Samurai, zum anderen die Freaks aus der Unterwelt von Tokio.
Auf den Steinstufen vor dem Museumsportal standen Andenkenverkäufer. Kinder fütterten Tauben, und zahlreiche Touristen knipsten sich und ihre Angehörigen vor dem prachtvollen Museumsgebäude.
Da entdeckte Abi den Narbigen.
Der Mann stand unter einem Lampiondach. Er schob sich gerade eine schmale Stoffmaske über die Mund- und Nasenpartie. Das war in Tokio nichts Ungewöhnliches. Viele Japaner schützten sich im dichten Gewühl der Millionenstadt auf diese Weise vor Staub und Infektionen. Der Freak wollte mit der Maske verhindern, daß man auf sein abstoßendes Äußeres aufmerksam wurde.
Abi trat an einen Zeitungsstand heran und warf dem Verkäufer ein paar Yenmünzen zu. Er schnappte sich irgendein Blättchen und klemmte es sich unter den Arm.
Der Narbige schlug die Richtung zur Hauptverkehrsstraße ein. Er schien es ziemlich eilig zu haben. Vermutlich hatte ihn die Polizeikontrolle nervös gemacht. Das bedeutete, daß er bei der Befragung etwas zu befürchten hatte.
Zwischen den Holzhäuschen und Kiosken führte der Weg in ein richtiges Straßenlabyrinth. Überall hallte das Klippklapp der japanischen Holzsandalen. Rechts ragten die spitzgiebligen Dächer der fünfstöckigen Pagode Kwan-ei-ji auf. Abi beschleunigte seine Schritte. Der Narbige bog gerade in eine Nebenstraße ein. Eine Gruppe von Radfahrern kam ihm entgegen, so daß er in einen Hausgang springen mußte. Die Kinder lachten und lärmten.
Der Narbige zog den Jackenkragen hoch und senkte den Kopf.
Der Kerl hat Angst, stellte Abi argwöhnisch fest.
Mädchen mit Pfirsichwangen, getönten Kimonos und zierlichen Schirmchen kamen näher. Sie warben für ein Teehaus und verteilten Handzettel. Doch dafür hatte Abi kein Interesse. Er wurde vom Jagdfieber gepackt. Er ahnte, daß er auf eine heiße Spur gestoßen war.
Als unweit von ihm zwei junge Polizisten herbeischlenderten, blieb der Narbige wie angewurzelt stehen. Die Polizisten jonglierten mit ihren Schlagstöcken und unterhielten sich angeregt. Der Narbige sah sich gehetzt um. Als er einen schmalen Durchgang zwischen zwei Häusern bemerkte, schlüpfte er sofort hinein.
Abi überquerte die Straße und warf einen Blick in den Durchgang. Eine streunende Katze sprang an ihm vorbei. Im Durchgang lagen leere Konservendosen und Zeitungsfetzen. Es roch nach scharf gewürzten Fischspeisen. Der Narbige war verschwunden.
Abi erschrak, als in der Nähe ein Fenster aufgerissen wurde und ein alter .Japaner einen Eimer mit Fischresten auskippte. Eine feiste Ratte sprang davon. Weiter hinten stapelten sich Berge von Unrat. Die Wände starrten vor Dreck. Mehrere Türen waren mit Brettern vernagelt.
Nicht sehr gemütlich, dachte Abi sarkastisch und lief weiter. Nach zehn Metern erweiterte sich der Durchgang zwischen den Häusern
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