101 - Das Narbengesicht
von ihm entfernt war.
Wie in einem Western, dachte Abi sarkastisch.
Als er die Signalpistole hochriß, heulten mehrere Polizeisirenen. Abi zielte sorgfältig. Komm noch ein paar Meter näher dachte der Däne. Noch ein paar Meter, und du schmorst in der Hölle.
Abi hatte den Freak völlig vergessen.
Jesse stand im schmalen Durchgang und verfolgte das Geschehen aus blutunterlaufenen Augen.
Jetzt ergriff er eine Reisweinflasche, die zwischen dem Unrat lag. Er schwang sie hoch und schleuderte sie Abi von hinten an den Kopf. Die Signalpistole ging los, und hoch über der Straße flammte es auf. Das Heulen der Sirenen kam rasch näher.
„Komm doch, Herr!" gurgelte der Freak aufgeregt. „Sie werden das ganze Viertel abriegeln! Wenn sie erst mal hier sind, haben wir keine Chance mehr. Komm schnell!"
Abi lag am Boden. Die übelriechende Flüssigkeit aus der zerschmetterten Flasche besudelte seine Jacke. Vor seinen Augen sprühten feurige Ringe. Als er nach seiner Pistole tastete, rutschte er in den Scherben aus. Er stöhnte vor Schmerzen. Wie durch einen Schleier sah er den Schwarzen Samurai. Ich darf ihn nicht entwischen lassen! schoß es ihm durch den Kopf. Er berührte seinen Hinterkopf und spürte etwas Klebriges zwischen den Fingern. Blut, erkannte er entsetzt. Der Freak-Bastard hatte ihn böse erwischt.
Dann bogen die ersten Streifenwagen im Höllentempo um die Straßenecke. Ihre Blaulichter zuckten hektisch.
Das letzte, was Abi von dem Schwarzen Samurai sah, war dessen schwarzer Umhang. Der Unheimliche folgte dem Freak in die Kanalisation der Millionenstadt.
Ein Streifenwagen hielt dicht neben Abi. Zwei junge Japaner sprangen heraus. Sie hielten Schnellfeuergewehre im Anschlag. Abi konnte ihr Geschnatter nicht verstehen. Erst als er ein paar englische Brocken herausgebracht hatte, wurde die Verständigung besser.
„Der Kerl ist mit seinem Freak zwischen den Häusern verschwunden", erklärte Abi den Beamten. Innerhalb weniger Minuten wimmelte es auf der Straße von Polizisten.
Während eine junge Uniformierte Abis Platzwunde am Hinterkopf behandelte, gab der Däne seinen Bericht ab. Ein Leutnant stenographierte und übersetzte ins Japanische.
„Weiter hinten muß es einen Abstieg in die Kanalisation geben", meinte Abi. „Ich konnte die zwei für ein paar Minuten belauschen. Leider verstand ich nicht, was sie sagten."
In diesem Augenblick entstand am Rand der Polizeiabsperrung ein Gedränge. Als Abi einen Blick über die Straße warf, erkannte er Coco Zamis, Steiner und Hideyoshi Hojo. Schließlich wurden die drei durchgelassen. Coco warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Warum mußte er auch auf eigene Faust handeln? Sie verriet nicht, daß sie mehr über den Samurai wußten. Bei der Polizei wäre sie nur auf Unglauben gestoßen. Im schlimmsten Fall wären sie zur Beobachtung in die psychiatrische Klinik eingeliefert worden.
Coco sah sich Abis Wunde an.
„War das nötig, alter Schwede?" fragte sie scherzend.
„Däne, wenn ich bitten darf." Abi wollte lächeln, doch das mißlang ihm kläglich. Abi wußte nicht, wie er sich Coco gegenüber verhalten sollte. Er beschränkte sich darauf, seine Beobachtungen mitzuteilen.
„Wir haben Ihre Anschrift“, sagte ein Polizist. „Wenn wir weitere Fragen an Sie haben, geben wir Ihnen Nachricht. Bitte verlassen Sie jetzt den Sperrbezirk."
Abi nickte und schloß sich den anderen an. Hinter der Straßensperre warteten sie auf das Ergebnis der Ermittlungen. Die Polizisten standen durch Sprechfunk mit dem Verfolgungstrupp in Verbindung. Bis jetzt war noch keine Erfolgsmeldung eingegangen.
Coco und Steiner flüsterten miteinander.
Das brachte Abi in Rage. Er konnte sich nicht damit abfinden, daß Coco sich so kaltschnäuzig über Dorians Tod hinwegsetzte.
„Wir sollten zum Museum zurückfahren", schlug Steiner vor. „Der Samurai wird den Polizisten sicher nicht ins Netz gehen."
Abi sah den Deutschen herausfordernd an.
„Sie haben Angst, stimmt's?"
Steiner zuckte mit den Schultern. Es sah fast so aus, als würde er sich für seinen Vorschlag entschuldigen. Sein schmaler Oberkörper war vorgebeugt. Er schob die Nickelbrille über die Nasenwurzel und meinte verlegen: „Sie würden mich doch beschützen, Flindt. Oder täusche ich mich?" Abi zog abfällig die Mundwinkel herunter. Er begriff nicht, warum sich Coco mit diesem Mann abgab. Steiner war in seinen Augen nichts weiter als ein weltfremder Gelehrter.
„Wir nehmen ein Taxi", sagte Yoshi, der
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