101 - Das Narbengesicht
Worte „Samurai" und „Freaks" ließ sie hellhörig werden. Sie überquerten die Straße. Zahlreiche Passanten blieben stehen und warfen dem gestikulierenden Dänen neugierige Blicke zu.
In diesem Augenblick verließ der Samurai den schmalen Durchgang.
Ein Schrei des Entsetzens gellte durch die Menge. Mehrere Frauen rissen ihre Kinder an sich und liefen in Panik davon.
Das Schwert des Samurais blitzte. Die Gesichtslinien auf seiner Maske leuchteten wie dickflüssiges Blut. Als er Abi Flindt entdeckte, lief er direkt auf ihn zu. Die beiden Polizisten waren starr vor Erstaunen. Sie sahen, daß der Schwarze Samurai zwei junge Burschen zu Boden stieß. Erst jetzt überwand einer der Polizisten seine Überraschung. Er lief auf eine Rufsäule zu, die wenige hundert Schritte von ihnen entfernt stand.
Da bog ein Taxi um die Straßenecke. Der Schwarze Samurai stand mitten auf der Fahrbahn. Der Taxifahrer hupte mehrmals kurz hintereinander. Doch davon ließ sich der Unheimliche nicht beeindrucken. Daraufhin beschleunigte der Fahrer wieder. Er steuerte genau auf den Samurai zu. Dieser sprang geschickt beiseite, als ihn der Wagen erreicht hatte. Bremsen quietschten.
Blitzschnell stieß der Unheimliche das Schwert durch die Fensteröffnung. Der Fahrer schrie gellend auf. Der Wagen raste quer über die Straße und krachte frontal gegen eine Hauswand. Zischend lief das Kühlwasser aus. Der Motor erstarb blubbernd, und ein Dauerhupton ertönte.
Der tote Fahrer lag quer über dem Lenkrad.
„Er hat ihn getötet!" schrie eine junge Frau. „Er hat ihn wie ein Stück Vieh abgeschlachtet."
Jetzt war der Samurai wieder hinter Abi Flindt her. Er verfolgte den Dänen wie ein Bluthund.
Der wartende Polizist riß seine Pistole aus der Gürteltasche. Er umfaßte den Kolben mit beiden Händen, um das Zittern der Rechten zu unterdrücken. Seine Schlitzaugen waren vor Entsetzen zusammengepreßt. Er sah den Samurai vor sich auftauchen und drückte zweimal kurz hintereinander ab. Das Peitschen der Schüsse übertönte die Schreie der Menschen. Pulverdampf kräuselte sich über der Pistolenmündung.
Der Samurai stand hoch aufgerichtet vor dem Polizisten. Im schwarzen Umhang sah man zwei häßliche Brandflecken. Sie lagen dicht unter dem Herzen. Da hob der Unheimliche sein Schwert.
„Er hat ihn doch getroffen!" rief ein alter Mann fassungslos. „Das ist kein Mensch - das ist ein fürchterlicher Dämon."
„Der Schwarze Samurai aus dem Ueno-Park", stammelte der Polizist und gab ungezielt einen weiteren Schuß ab. Die Kugel bohrte sich auf der gegenüberliegenden Seite in die Hauswand.
„Niemand kann den Schwarzen Samurai töten!" gellte es von allen Seiten.
Eine Frau warf sich wimmernd auf die Straße. Sie krümmte sich wie ein hilfloser Embryo zusammen und barg das Gesicht in den Händen.
Abi Flindt hob die Signalpistole. Mehrere Männer hasteten an ihm vorbei. Da stolperte ein kleines Mädchen und blieb in der Schußrichtung liegen. Abi konnte das Risiko nicht eingehen. Pyrophorkugeln streuten stark. Es bestand immer die Gefahr, daß Unschuldige getroffen wurden. Die Kugeln waren eine schreckliche Waffe.
Rasch lief er über die Straße und half dem Mädchen auf die Beine. Das Gesicht der Kleinen war tränenüberströmt. Ihr Knie blutete.
„Lauf dort hinüber!" sagte Abi. Doch das Mädchen verstand kein Englisch. Sie schluchzte ein paarmal und rannte davon.
„Verschwindet von der Straße!" rief Abi hektisch und fuchtelte mit der Signalpistole herum.
Der Schwarze Samurai trieb den Polizisten zur Hauswand. Er hatte den Schwertgriff mit beiden Händen umfaßt und hob die Klinge über seinen Kopf. Dann ging alles sehr schnell. Das Schwertblatt zuckte herunter und schrammte über die Hauswand. Putz rieselte auf den Polizisten herab. Der Mann wich blitzschnell nach links aus. Ein glockenheller Ton ertönte, und das Schwert brach genau in der Mitte auseinander.
Der Polizist rutschte mit dem Rücken an der Wand herunter. Die Pistole entfiel seiner Rechten. Er war ohnmächtig geworden.
„Tomokirimaru!" dröhnte es dumpf unter der Eisenmaske des Samurai. „Tomokirimaru!"
Der Unheimliche brauchte das Schwert aller Schwerter.
„Hier bin ich!" rief Abi Flindt. „Komm her - hier bin ich."
Für wenige Sekunden standen sie ganz allein auf der Straße.
Links von Abi qualmte das Taxi. Die Hupe gellte immer noch durch die Straßenschlucht. Scherben lagen auf dem Boden. Der Samurai wandte sich dem Dänen zu, der etwa zwanzig Meter
Weitere Kostenlose Bücher