101 - Gangster in London
Bande jedenfalls, die die grünen Formulare ausschickt, handelt psychologisch richtig. Die geforderte Summe ist nicht zu groß; ein- oder zweitausend Pfund sind nicht zwanzig- oder fünfzigtausend. Nach zwei Monaten freilich werden die Leute, die bezahlt haben, natürlich zum zweitenmal zur Ader gelassen. Das ist eine Grundregel bei der Kunst des Erpressens. Einmal zahlt schließlich fast jeder; erst wenn die Geschröpften zehnmal geblecht haben, werden sie aufsässig. Nachdem nun wieder dieser Mord im Zug passiert ist, werden die Drohbriefe wahrscheinlich zu Hunderten in die Stadt hinausflattern... Aber die verdammten Burschen sollen mich trotzdem auf dem Posten finden!«
Jiggs Allerman hatte ein paar Helfer an der Hand, die allerdings nicht offiziell im Dienst der Polizei standen, aber doch mehr oder weniger Zubringerdienste leisteten. Der amerikanische Detektiv war ursprünglich nach England gekommen, um an einer internationalen Polizeikonferenz teilzunehmen. Man wollte den Falschspielerbanden und Betrügern beikommen, die planmäßig zwischen den Vereinigten Staaten und Europa hin und her reisten. Jiggs war unterwegs mit allerhand Landsleuten in Fühlung getreten, die Verbindung zu Verbrecherkreisen unterhielten, und von denen bekam er mitunter brauchbare Nachrichten.
Zu einem gewissen Joe Lieber, der in einem Hotel an der Euston Road wohnte, lud er sich an diesem Morgen zum Frühstück ein. Lieber war ein untersetzter, etwas korpulenter Herr mit rotem Gesicht und kahlem Kopf. Er hatte Sinn für Humor, aber sein Hauptvorzug bestand darin, daß er über Gangster genau Bescheid wußte.
Jiggs trat unangemeldet in sein Zimmer. »Was, Sie schlemmen hier bei Eiern und Schinken?« fragte er. »Das bekäme mir auch gut, Joe. Ist irgend etwas los?«
Joe Lieber sah ihn ernst an. »Haben Sie die Morgenzeitungen nicht gelesen? Übrigens hatten die Kerle doch gestern eine Bombe in Ihr Zimmer gesetzt... Ob das dieselbe Bande ist, die diesen Sir Sowieso geschnappt hat?«
Jiggs nickte. »Für einige von uns wird es in nächster Zeit heiß werden...«
»Ich glaube, Mr. Allerman, es wäre besser, Sie betrachteten mich nicht mehr als Informationsquelle...«
»Sie haben wohl kalte Füße bekommen?« Jiggs zog sich einen Stuhl heran.
»Nein, das gerade nicht - aber sie sollen warm bleiben. Ich hätte nicht gedacht, daß die Kerle hier so scharf ins Zeug gehen. Sie haben es da mit den ausgekochtesten Burschen zu tun! «
»Haben Sie jemanden gesehen?«
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen überhaupt etwas sagen soll; bin eigentlich nie Polizeispitzel gewesen... Aber Eddie Tanner ist hier - und ebenso Kerky Smith. Doch das wissen Sie natürlich schon?« »Ja. Ist Ihnen nicht einer von den weniger Prominenten über den Weg gelaufen?«
»Doch: Hick Molasco. Seine Schwester ist mit Kerky verheiratet.«
»Sie führt wenigstens seinen Namen. Sonst noch wer?« Joe lehnte sich im Stuhl zurück. »Ich überlege, ob sich's lohnt, es Ihnen mitzuteilen. Es sind feige Halunken, die ich zum Teufel wünsche... Aber Sie müssen bedenken, daß ich verheiratet bin und Familie habe!« Er sah sich um. »Schauen Sie doch mal zur Tür hinaus, Jiggs, ob jemand lauscht!« In dem Augenblick trat ein Kellner ein. »Bestellen Sie sich bitte, was Sie wollen!« sagte Joe. Und, als sich die Tür hinter dem Kellner geschlossen hatte: »Ich kann diese schleicherischen Sizilianer nicht leiden... Aber bitte, setzen Sie sich doch wieder!« Er lehnte sich über den Tisch und dämpfte die Stimme. »Können Sie sich noch auf Bomben-Pouliski besinnen, der in Chikago zu zehn Jahren Zuchthaus verknackt wurde?«
Jiggs nickte. »Ich kannte ihn, weil er früher zu den Kartenspielern gehörte, die den Atlantik bereisten. Das muß so vor fünfzehn Jahren gewesen sein. Später hörte ich, daß er mit einer Bande in Chikago zusammenarbeitete, und traf ihn dann auch. Als der große Vieharbeiterstreik ausbrach, hatte er ebenfalls seine Hand im Spiel...«
»Er hat eine Bombe in das Haus eines Staatsanwalts geworfen; deshalb wurde er doch nachher verurteilt.« Joe sah sich wieder um und flüsterte dann: »Er ist hier!«
»In diesem Hotel? Oder in London?«
»In London. Eine merkwürdige Sache... Ich sah ihn in einem Laden an der Oxford Street, als er Kleider für seine alte Mutter kaufte. Er hat mich nicht bemerkt; aber ich hörte, wie er mit der Verkäuferin sprach.«
»Hat er Sie wirklich nicht erkannt?« Jiggs war ganz Ohr für diese neue Nachricht.
»Nein.«
»Können
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