101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition)
vom Kopf flog. Achtzig Locken senkten sich da herab.
Als er sah, dass es ein Mädchen war, schöner als alle anderen seiner Zeit, ja, so schön wie der strahlende Mond, hob er sie zurück in ihren Sattel.
Sie aber sprach zu ihm: «W er bist du, unbekannter Rittersmann? Ich habe, bei Gott, schon gegen Recken und Männer genug gekämpft, doch noch nie hat mich einer überwunden außer dir!»
«Ist das die Möglichkeit?», entgegnete der Königssohn verblüfft. «Ein Mädchen mit Brüsten und weiblichem Schoß stellt sich den Recken entgegen?»
An dieser Stelle unterbrach das Morgengrauen Schahrasad , und sie verstummte. Der König erhob sich, entzückt von ihrer spannenden Geschichte, und begab sich in seine Regierungsgemächer.
Die einundzwanzigste Nacht
Und in der folgenden Nacht kam der König, brach das Siegel auf und schlief mit dem Mädchen bis zu der bewussten Zeit.
Da rief ihre Schwester Danisad ihr zu: ~ Ach, meine Schwester! Ach, Schahrasad, erzähle doch unserem Herrn, dem König, deine schönen Geschichten!
~ Einverstanden, mein Gebieter, erwiderte sie. ~ Und so geht die Geschichte weiter:
Als er gewahr wurde, dass der Recke eine Frau war, und sie ihn nach seinem Namen fragte, gab er zur Antwort: «Ich heiße Dhâfir Ibn Lâhik und bin der Herr der Blumenstädte und des Blütenreichs.»
«Freue dich», gab sie zurück. «Gott schenkt dir Pferde und Geld im Überfluss!» Mit diesen Worten nahm sie ihn an der Hand und führte ihn ins Schloss. «Ich wusste, dass du ein mutiger Held bist», sprach sie zu ihm, und er erkundigte sich: «W ie kommt es, dass du hier in diesem Schloss ganz allein lebst?»
«Mein Vater war ein kühner Recke, hatte aber keinen Sohn», erklärte sie. «Als ich geboren wurde, gab er mir einen Jungennamen: as-Suweid, ‹der kleine Schwarzhaarige›. Er lehrte mich das Reiten und das Pfadfinden bei Nacht, außerdem Pfeilschießen und Lanzenstechen. Als ich all das gelernt hatte, war aus mir ein wahres Wunder geworden. Dann starb mein Vater, und seine Befehlsgewalt ging auf mich über.» Und sie zeigte ihm Geld und Schätze und bot sie ihm an.
Der Königssohn staunte und war entzückt von ihr. Er suchte sie zu gewinnen und nahm sie zur Frau. Als er sich mit ihr vereinigte, fand er, dass sie Jungfrau und noch unberührt war. Er blieb nun einige Tage bei ihr.
Dann sagte er zu ihr: «Ich will fort, zurück in mein Heimatland.»
«Ich komme mit dir», entschied sie. Sie nahm von den Schätzen und dem Geld, welches leicht an Gewicht, doch schwer an Wert war, so viel sie konnte, setzte einen Stellvertreter über das Schloss ein und reiste ab, und er mit ihr. Gemeinsam durchquerten sie das Land in seiner Weite und Breite, bis sie das Wadi der Barbaren erreichten, wo der Königssohn mit dem «Schädelspalter» gekämpft hatte. Dort machten sie Rast und ließen ihre Reittiere frei weiden, bis die Nacht hereinbrach. Der Königssohn legte sich mit dem Mädchen schlafen und erwachte nicht eher, als bis ihm die Sonne warm ins Gesicht schien. Er schaute sich nach dem Mädchen um, doch konnte er sie nicht finden. Sie war spurlos verschwunden. Nur ihr Pferd war noch da, und das seine. Beide Pferde waren tot.
An dieser Stelle unterbrach das Morgengrauen Schahrasad , und sie verstummte. Der König erhob sich, entzückt von ihrer spannenden Geschichte, verschloss die Tür, versiegelte sie mit seinem Siegel und begab sich in seine Regierungsgemächer.
Die zweiundzwanzigste Nacht
Er spricht:
Und in der folgenden Nacht kam der König, brach sein Siegel auf und schlief mit dem Mädchen bis zu der Zeit, da ihre Schwester Danisad ihr zurief: ~ Ach, meine Schwester! Ach, Schahrasad, erzähle doch unserem Herrn, dem König, deine schönen Geschichten!
~ Einverstanden, erwiderte sie. ~ Und so, mein Gebieter, geht die Geschichte weiter:
Als der Königssohn das Mädchen nicht wiederfand, sprang er erschrocken auf, bestieg sein Pferd und ritt ziellos wie ein dürstendes Weidetier in die Wüste hinaus. «Maschallah!», seufzte er . «Offenbar ist keine Katastrophe so groß, dass über ihr nicht eine noch größere schwebte.»
Ungefähr eine Meile weit war er im Wadi entlanggeritten, als er auf einen Hirten traf, der eine Herde Ziegen und Schafe hütete. Er sprach den Hirten an: «W eißt du, ob irgendjemand in diesem Wadi wohnt?»
«Nein, hier wohnt keiner außer uns», entgegnete der.
«Und wer seid ihr?», wollte der Königssohn wissen.
«Mein Vater ist ein alter Scheich», sagte der Hirte,
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