101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition)
unleserlichen Textteilen an abgegriffenen Seitenrändern oder verderbtem Text wurden nach der Edition Ṭ aršūna übertragen, sofern deren Text an den fraglichen Stellen eine vergleichbare Formulierung bot.
Gestalt und Struktur des Texts
Wie bei arabischen Handschriften üblich, tritt uns Hundertundeine Nacht als «Fließtext» en bloc entgegen, der nicht durch Absätze strukturiert ist. Lediglich die Überschriften der Geschichten sowie manche Gedichte erscheinen in separater Zeileneinteilung und sind mit Ornamenten verziert. Dies hat ganz wesentlich mit dem Wert des Schreibmaterials Papier in der durch Handschriften geprägten Buchkultur der arabischen Welt zu tun. Obgleich die Araber Papier bereits seit dem 8. Jahrhundert kannten und herstellten, war es auch im 13. Jahrhundert noch so wertvoll, dass unnötige Absätze, Leerzeilen oder auch nur Lücken in aller Regel vermieden wurden. Der Beschreibstoff wurde bis zum letzten Millimeter genutzt. Arabische Handschriften wirken dadurch relativ homogen, aber oft auch unübersichtlich.
Blickfänge, Orientierungspunkte und sonstige strukturierende Elemente setzte der Schreiber von Hundertundeine Nacht durch eine großformatige rote oder schwarze Auszeichnungsschrift mit breiterem Schreibrohr und dickem Tintenstrich. Der Schreiber beginnt seine Auszeichnungen in roter Tinte; gegen Ende des Manuskripts (fol. 31a) wird die rote Farbe der Auszeichnungsschrift jedoch allmählich dunkler, und die letzten Blätter (fol. 32–39) zeigen nur noch schwarze Auszeichnungen. Offenbar ist dem Schreiber allmählich die rote Tinte ausgegangen.
In der großformatigen Auszeichnungsschrift sind die Einschaltungen des fiktiven Erzählers, narrative Höhepunkte und Absätze in der Erzählung sowie die jeweiligen Nachtüberschriften und Geschichtentitel gehalten. Während die Nachtüberschriften zumindest im ersten Teil der Handschrift in den Fließtext integriert sind, belegen die Geschichtentitel im Original stets eigene Überschriftszeilen .
Für die Darstellung in der Übersetzung relevant sind insbesondere die Hervorhebungen an narrativen Absätzen. Überall dort, wo der Schreiber unserer Handschrift einen Einschnitt in der Erzählung markieren oder einen besonders wichtigen Auftritt eines Protagonisten hervorheben wollte, verwendet er für einige Worte die große rote Auszeichnungsschrift, um dann wieder zu seinem normalen kleinen und schwarzen Duktus zurückzukehren. Oft wird nur ein Wort hervorgehoben, manchmal mehrere Wörter am Satzanfang, selten der ganze Satz. Die Übersetzung gibt diese «Stichworte» in roter Auszeichnungsschrift wieder und überträgt dadurch diesen besonderen gestalterischen Akzent des Originals. Da unser Original in der 85. Nacht abbricht, endet dort auch die rote Auszeichnungsschrift im Erzähltext.
Die vier Erzählebenen
Hundertundeine Nacht funktioniert nach dem auch für Tausendundeine Nacht typischen und für die Weltliteratur so einflussreichen Prinzip «Rahmengeschichte + Binnenerzählungen». Doch ist diese Rahmung nicht das einzige narrative Strukturelement . Außer- bzw. oberhalb der Erzählebene Schahrasads tritt nämlich noch ein fiktiver Erzähler auf, inner- bzw. unterhalb sind wiederum noch andere Erzählungen eingeschachtelt. Insgesamt lassen sich also vier Erzählebenen identifizieren, die im Folgenden von außen nach innen beschrieben werden, zusammen mit der Lösung, die diese Übersetzung für ihre Darstellung gefunden hat.
Ebene 1: Der fiktive Erzähler
Als Autor und Überlieferer von Hundertundeine Nacht tritt auf der obersten Erzählebene der schon genannte fiktive Erzähler namens «Faharāyis, der Philosoph» auf (s. S. 247 f.). Sein Name begegnet im Originalmanuskript jedoch nur in der 2. bis 14. Nacht; ab der 15. Nacht nennt unser Text den Namen nicht mehr, sondern behilft sich stattdessen mit einer bloßen Erwähnung der Figur.
Aufgrund des Fehlens kurzer Vokale im arabischen Text kann das arabische Schriftbild des Namens فهرايس sowohl als «Faharāyis» oder «Fahrāyis» als auch als «Fihrāyis» gedeutet werden. Theoretisch wären sogar die Formen «Fuhurāyus», «Fihirāyis» etc. denkbar, die allerdings morphologisch so fernliegen, dass sie nicht berücksichtigt zu werden brauchen. Dagegen kommen die Varianten «Fihriyās» ( فهرياس ) und «Firmās» ( فرماس ) aus den jüngeren Parallelhandschriften nicht in Betracht, da ihnen ein anderes arabisches Schriftbild zugrunde liegt. Gleiches gilt für
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