101 - Schiffbrüchige des Universums
des Generals hatte die Farbe nassen Schlicks. Er öffnete seine farblosen Lippen, aber kein Wort kam darüber. Er schüttelte den Kopf. Endlich entrang sich ein Krächzen seiner Kehle. »Die… die haben Lynne…? Gibt es dafür Augenzeugen?«
Matt sah ihm in die blauen Augen. Feucht waren sie plötzlich, keine Spur von Eis mehr darin. Er fragte sich, ob Crow bis zu diesem Augenblick überhaupt ein einziges Wort seiner Botschaft geglaubt hatte. »Ja«, sagte er schließlich. »Es gibt einen Augenzeugen, General. Ich habe das Gefühl, sie sollten mit ihm sprechen, bevor wir die Verhandlungen aufnehmen…«
***
Die Sem, zwei Ärztinnen und ein Dolmetscher, den Leo flüchtig kannte, beschäftigten sich inzwischen mit den Flüchtlingen. Vierzehn oder fünfzehn waren es. Leo verstand nicht, was hundertfünfzig Meter weiter am Passeingang geredet wurde, aber den Gesten der Subkommissarin und der Barbaren – ständig und sichtbar erregt deuteten sie nach Osten den Hang hinunter – entnahm er, dass die Barbaren vor irgendeiner Gefahr geflüchtet waren.
Es wurde Nachmittag, es wurde Abend. Niemand kümmerte sich um ihn. Irgendwann vibrierte die Erde, dröhnte die Luft von Kettenrasseln und Motorengebrumm. Drei AMOTs krochen aus dem Felsspalt des Passes. Schwarze Fahrzeuge mit dem Emblem des Bruderbunkers an der Bugseite: Hammer und Sichel in Gelb auf rotem Grund. Die Verstärkung aus Perm II.
Schotts öffneten sich, Bewaffnete sprangen ins Freie.
Zuletzt ein hochgewachsener, kräftiger Mann in metallic-goldenem Overall: Alexander Koboromajew, Gouverneur von Perm II, der zweiten Bunkerkolonie unterhalb der Ruinen Perms. Erachtete der Chef des Bruderbunkers den Vorfall als so wichtig, dass er persönlich erschien? Die Schlinge um Leos Gewissen zog sich noch enger zusammen.
Er beobachtete, wie die Sem und der Encephalorobotowitsch den Gouverneur begrüßten. Die Drei palaverten miteinander, und Leo erschrak bis ins Mark, als Dr. Rostow auf ihn zeigte. Bitte nicht, keine Aufmerksamkeit, bitte, ich bin ganz unwichtig… Er zog den Kopf zwischen die Schultern und drückte sich gegen den Baumstamm.
Einer der Barbaren erhob sich. Er fiel Leo auf, weil er deutlich kleiner war als die anderen, irgendwie verwachsen zudem und von schwärzlicher Hautfarbe. Vorbei am noch immer palavernden Führungstrio, vorbei an der Mannschaft, die den Rochen zerlegte, und vorbei am Flaggpanzer der Zweiten Subkommissarin ging er dem Wald entgegen. Dort, wo das Gras kniehoch stand, bückte er sich und hob etwas vom Boden auf.
Niemand beachtete ihn, niemand außer Leonid Onopko. Der grauhäutige Kerl beunruhigte ihn, weil er sich auf einmal so bewegte, wie sich ein ängstlicher Flüchtling, der froh war, mit dem Leben davongekommen zu sein, niemals bewegen würde: zielstrebig, locker dabei und irgendwie stolz. Das, was er da aus dem Gras holte, spuckte er an, rieb es mit seinem roten Mantel ab. Es glänzte grün, und Leo begriff: Der Kristallsplitter aus dem Schädel des Rochenmonsters.
Andere aus der Flüchtlingsgruppe erhoben sich. Auch sie seltsam gelassen und völlig frei von der Hast, mit der sie ein paar Stunden zuvor ins Camp gestolpert waren. Keine Spur irgendwelcher Verletzungen mehr. Einige zogen lange Schwerter aus Rückenscheiden. Fünf von ihnen drängten sich um Koboromajew, die Subkommissarin und den Encephalorobotowitsch, drei kletterten ins offene Schott des Gouverneur-Panzers. Dort empfingen zwei Bunkergardisten sie mit Kolbenhieben. »Zurück mit euch, Pack!«
Jetzt wurde endlich das Führungstrio aufmerksam.
»Verlaustes Gesindel!«, hörte Leonid Onopko die Zweite Subkommissarin schreien. »Ich lass euch niederschießen…!«
Vermutlich hatte sie noch weit mehr zu sagen gehabt, doch einer der Barbaren hebelte ihr blitzschnell seinen Arm unter die Kehle und riss sie dicht an seinen Körper. Dem Gouverneur und Dr. Rostow erging es nicht besser: Von einem Augenblick zum anderen waren sie hilflose Geiseln.
Von diesem Moment an überschlugen sich die Ereignisse: Der verwachsene Flüchtling im roten Kapuzenmantel hob den leuchtenden Kristallsplitter. Strahlen schossen aus ihm hervor.
Bunkergardisten schwebten plötzlich in der Luft, überschlugen sich, ließen schreiend ihre Waffen fallen. Eine Gruppe Barbaren stürmte den Gouverneurs-AMOT, eine andere benutzte das Führungstrio als Schutzschild, um sich Natalja Sems Flaggpanzer zu nähern. Laserstrahlen fauchten ungezielt in den Abendhimmel, gegen den Fels und in den
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