1010 - Das Geheimnis der blutigen Hände
Reihe sein, das kann ich dir schwören.«
»Wer hat sich wen vorgenommen? Wen hältst du für die Mörder?«
»Na ja, seine Frau. Jessica.«
Cesare wußte nicht, ob er lachen oder den Kopf schütteln sollte. Er tat keins von beiden, sondern behielt seine Stimme unter Kontrolle. »Jessica«, sagte er leise. »Hast du denn vergessen, was wir mit ihr angestellt haben, Flavio?«
»Das habe ich nicht.«
»Eben. Deshalb ist es unmöglich, daß Jessica ihren Mann umgebracht hat. Eine Frau ohne Arme, ohne Hände. Das mußt du dir mal vorstellen. Das geht doch nicht!«
»Für mich schon.« Flavio war vom Gegenteil nicht zu überzeugen. »Da ist irgend etwas passiert, mit dem wir nicht zurechtkommen. Zumindest ich nicht. Etwas verdammt Hartes. Ich will ich auch nicht darüber nachdenken, ich kann es einfach nicht. Es widerspricht auch jeder Logik, wie ich meine, aber mein Gefühl sagt mir, daß der Fall Jessica Malfi noch nicht zu Ende ist.«
»Gefühle sind keine Beweise.«
Di Mestre umklammerte das Wasserglas hart, ohne es allerdings anzuheben oder etwas zu trinken.
»Wir haben einen Fehler gemacht«, erklärte er, »einen verdammten Fehler. Wir hätten ihr nicht die Hände abhacken sollen. Wir hätten sie statt dessen mit Schimpf und Schande aus dem Dorf jagen sollen, das meine ich.«
»Es ist aber jetzt zu spät, um noch etwas zu ändern.«
»Ja, leider.«
Cesare sagte mit leiser Stimme: »Und jetzt befürchtest du, daß du der nächste bist, den man mit Würgemalen am Hals irgendwo hier in der Schlucht findet.«
»Auch das, Cesare. Und du solltest zugleich an dich denken, denn du bist auch dabeigewesen, und du hast zugeschlagen. Du bist sogar der eigentliche Täter.«
Caprio winkte ab. »Der Hehler ist ebenso schlimm wie der Stehler. Wenn, dann trifft es uns beide.«
Di Mestre nickte heftig. »Ja, uns beide trifft es. Und das sagst du so ruhig?«
»Was soll ich denn tun? Aufspringen und in wilde Panik verfallen? Nein, das auf keinen Fall. Ich drehe hier nicht durch, und ich mache auch kein Theater. Ich möchte nur versuchen, den Dingen so klar wir möglich entgegenzuschauen.« Er tippte gegen seinen Kopf. »Außerdem sagt mir mein Verstand, daß es unmöglich ist, eine Person ohne Hände als Würgerin zu bezeichnen. Wenn du das jemandem sagst, lacht der dich nur aus.«
Flavio gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden. Er reckte sein Kinn vor. »Und wer war es dann?« fragte er. »Los, rede schon! Wer ist es dann gewesen?«
»Das weiß ich doch nicht.«
»Hast du keinen Verdacht?«
Cesare schob die Unterlippe vor. »Zumindest keinen, der in deine Richtung läuft.«
Flavio zündete sich eine Zigarette an. Er wußte nichts zu sagen und mußte zunächst einmal nachdenken. Dabei schaute er den Rauchwolken nach, trank auch einen kleineren Schluck und schüttelte dabei den Kopf. »Das gefällt mir alles nicht. Wir haben hier einen Toten, aber wir haben keinen Mörder.«
»Stimmt.«
»Und warum hat man gerade Romano erwürgt?« fragte Flavio keuchend. »Warum gerade ihn?«
»Das weiß ich auch nicht. Es kann Zufall gewesen sein. Er kann dem Killer in die Arme gelaufen sein. Irgendein Irrer rennt hier durch die Gegend und sucht sich Opfer aus.«
»Ein Irrer?«
»Ja, einer der aus dem Knast oder einer Heilanstalt ausgebrochen ist«, sagte Cesare.
»Daran glaubst du?«
»Beweise mir das Gegenteil. Ich glaube eher daran, daß es so einer war, als eine Person ohne Hände. Die kann beim besten Willen nicht mehr würgen.«
»Ja, ich weiß.« Flavio drückte seine Zigarette aus. Sie fand ihren Platz bei den anderen Kippen.
Dann stierte er in sein Glas, wie einer, der überlegt, ob er nun trinken soll oder nicht. Er entschied sich für den kräftigen Schluck und schaute dabei zu, wie sein Gegenüber gähnte. Es langweilte Cesare. Vielleicht war er auch müde, aber er würde sich wundern.
Flavio trank das Glas leer. Der scharfe Schnaps brannte wieder in seiner Kehle.
»Morgen ist die Beerdigung«, sagte Cesare. »Gehst du hin?«
»Das tun doch alle - oder?«
»Ich frage ja nur.«
»Man hat keine Polizei geholt.«
Cesare nickte. »Ich weiß. Wir leben hier in Ruhe. Wir wollen keinen Ärger. Außerdem hätte die Polizei nur unnötige Fragen gestellt, die keiner von uns gebrauchen kann. Wir werden ihn begraben und die Dingen dann vergessen.«
»Das wird kaum jemand können«, gab di Mestre zurück. »Zumindest ich nicht. Alle hier in Pochavio wissen Bescheid, was mit Jessica geschehen ist. Sie werden
Weitere Kostenlose Bücher