102 - Die Gottesanbeterin
geschmückten Thron saß ein Mann, wie Ashikaga noch keinen gesehen hatte. Er trug wertvolle farbenprächtige Gewänder und lederne Schuhe, bei denen für jede Fußzehe Hüllen nachgebildet waren. Die weiten Ärmel seines schwarzgoldenen Gewandes waren innen blau und weiß gemustert. Seine Frisur war seltsam. Oben bildeten die Haare eine Art Kamm, an den Seiten standen sie fächerartig ab. Das Gesicht war blaß und scharfgeschnitten. Es hatte einen grausamen Ausdruck, den ein bläulich schimmernder, ausrasierter Kinn- und Backenbart noch betonte. Die Augen konnten wie Kohlen glühen. Wenn dieser Mann sprach, sah Ashikaga einen Glutschimmer in seinem Mund, und manchmal stoben Funken hervor. Die Fingernägel des Mannes auf dem Thron waren sehr lang und wie Korkenzieher gedreht.
„Ich bin Tai Pan", hatte der Mann jedesmal zu Ashikaga gesagt. „Du wirst dich als Stärkster beim Sumoturnier erweisen und Yokozuna werden. Dann aber sollst du meinen Willen erfüllen. Bist du dazu bereit?"
Seine Augen hatten derart geglüht, sein Gesichtsausdruck war so furchterregend gewesen, daß Ashikaga nicht zu widersprechen gewagt hatte.
„Ich gehorche, Tai Pan", hatte er immer gesagt und sich zu Boden geworfen.
„Tai Pan, was soll ich tun?" rief Ashikaga jetzt.
Er spürte, daß ihn etwas belauerte, eine Macht, der er sich nicht entziehen konnte. Er hörte ein Brausen in der Luft, und dann sprach die Stimme eines Unsichtbaren - die Stimme Tai Pans.
Tai Pan, das hieß: großer Herr.
„Ashikaga, es gefällt mir, daß du dich sofort an dein Versprechen entsinnst, nachdem du Yokozuna geworden bist", sagte Tai Pan. „Geh in den Wald, den du zu deiner Rechten siehst! Ein Vogel wird dir vorausfliegen, und du wirst eine Höhle finden. Dort ist eine Salbe, mit der du dich einreiben sollst, am ganzen Körper. Auch deine Augen sollst du damit bestreichen. Und du findest einen Trank, den du trinken sollst. Danach wirst du weiteres erfahren."
„Ich werde tun, was Ihr sagt, Tai Pan."
„Du sollst heute einen Kampf bestehen, wie du noch nie einen bestanden hast, Ashikaga. Gewinnst du ihn, wird dein Ruhm ungeheuer sein und du wirst als der größte Sumotori aller Zeiten in die Geschichte eingehen."
Ashikaga Daigo verneigte sich in die Richtung, aus der er die Stimme des Unsichtbaren gehört hatte, und ging in den Wald.
Kurz nachdem der Sumotori im Wald verschwunden war, erschien der Schwarze Samurai und sein Heer. Tomotada saß auf seinem Roß Dojikage, dem edelsten Tier des Kaiserreiches. In der roten Schärpe seines schwarzen Gewandes steckte das Schwert Tomokirimaru. Am weiten linken Ärmel von Tomotadas Gewand hing der Kopf eines Rokuro-Kubi. Seine Augen standen offen und waren glasig. Er wies keine Anzeichen von Verwesung auf.
Der Schwarze Samurai ritt zum Sumoring. Ein kurzer Blick auf den toten Sumotori, dann schaute die eiserne Maske mit dem aufgemalten Fratzengesicht in die Richtung der Stadt Matsue, die hinter einem Wäldchen lag.
Tomotada wartete ab. Es schien, als schickte er seinen Instinkt aus oder als versuchte er auf andere Weise zu ergründen, ob irgendwo Gegner lauerten.
Das Heer hielt an. Es waren mehrere hundert Mann; wüst aussehende Krieger. Sie waren zu Fuß und mit schweren Musketen, die noch mit Stützgabeln abgefeuert wurden, bewaffnet. Berittene Samurai mit farbenprächtigen Rüstungen begleiteten sie.
Die Samurai waren alle Ehrlose und Geächtete, von ihren Familien verstoßen. Tomotada hatte den Abschaum um sich gesammelt. Auch ein paar Untote ritten unter den Samurai. Leere Augenhöhlen glotzten über die eisernen Gesichtsmasken hinweg, und die Hände waren entweder Knochenhände oder scheußliche Mumienklauen.
Vor dem Heer, direkt hinter oder neben Tomotada, ritten zwei aufsehenerregende Erscheinungen. Die eine war ein fülliger Mann mit vollem Gesicht und eisengrauem Haar. Er trug jetzt weder Helm noch Maske und glich einem Buddha in einer prächtigen Samurairüstung.
Das war der Kokuo no Tokoyo, der Herrscher vom Niemandsland, Tomotadas mächtiger und dämonischer Gebieter. Tomotada wußte nicht, daß er zwei Gesichter hatte, ein vorderes und ein hinteres; das eisengraue Haar verbarg das hintere. Wenig wußte der Schwarze Samurai. Er hatte keine Ahnung von seinen früheren Leben.
Zur linken des Kokuo ritt eine schlanke Frau von zeitloser Schönheit. Sie war in ein Gewand aus dunkelblauem Tuch gekleidet, dem mit hellroter Seide Muster aufgestickt waren. Unter dem Gewand trug sie eine Rüstung. Am
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