102 - Die Gottesanbeterin
verliehen, so hieß es. Sengoku hatte die O-toku-San schon in die vornehmsten Familien ausgeliehen, an den kaiserlichen Hof und an den des Shogun. Alle kinderlosen Paare, die sie im Hause hatten und anbeteten, hatten Nachwuchs bekommen.
Bascho Yosuke wollte den Daimyo und Samurai bitten, ihm die O-toku-San auszuleihen. Er hatte Angst davor, denn es war keine kleine Gefälligkeit, um die er den Daimyo bat. Die O-toku-San war nicht für das einfache Volk bestimmt. Nur sehr vornehme Leute hatten sie bisher bekommen. Aber größer als Baschos Angst war seine Sehnsucht nach einem Kind.
Es war günstig, daß er für den Daimyo gerade ein paar Bilder und Tuschzeichnungen gerahmt hatte. Der Daimyo war mit seiner Arbeit sehr zufrieden gewesen.
Bascho begab sich also zur Burg mit den sieben Giebeldächern, die an der Felsküste über der Stadt Matsue thronte. Hier wohnte und herrschte Sengoku Yajiro. Einmal in der Woche war er einen Nachmittag für alle zu sprechen, die mit einer Bitte oder Klage zu ihm kamen.
Bascho begab sich in den Sitzungssaal und wartete, bis die Reihe an ihn kam. Dann warf er sich dem Saimyo zu Füßen, der auf einer erhöhten Stufenplattform im Hocksitz hinter einem niedrigen Tisch saß, einen Schreiber und einen seiner Ratgeber neben sich.
„Was kann ich für dich tun, mein guter Bascho?" fragte der Daimyo. „Du bist ein tüchtiger Mann, der mein Wohlwollen hat. Hast du einen Kummer?"
„Ja, Herr, einen großen Kummer und eine große Bitte. Seht, Ihr habt vier Söhne und drei Töchter, die Freude Eueres Alters. Euer Knecht Bascho aber hat niemanden, denn seine Frau ist noch nie niedergekommen. Alles, alles haben wir versucht, und jetzt bleibt nur noch ein Ausweg. Ich wage es nicht, meine Bitte auszusprechen, mächtiger Daimyo, großer und tapferer Samurai."
Sengoku strich sich über seinen dünnen, weißen Bart. Er hatte sich in seiner Jugend und im Mannesalter auf fast allen Schlachtfeldern Japans ausgetobt und war im Alter milde geworden.
„Du willst die O-toku-San?" fragte er.
Bascho wagte es nicht, den Blick zu heben, noch sich zu rühren.
Im Saal wurde getuschelt über dieses unerhörte Ansinnen. Wie kam ein bürgerlicher Bildereinrahmer, ein einfacher Handwerker dazu, die O-toku-San zu verlangen?
„Ich will nicht, daß die Familie eines so tüchtigen und kunstfertigen Mannes ausstirbt", sagte Sengoku nach kurzem Überlegen. „Du kannst die O-toku-San haben, Bascho. Man wird sie dir morgen bringen."
„O danke, Herr! Tausend, tausend Dank! Ihr habt mich mit Eurer Güte zum glücklichsten Menschen dieser Erde gemacht. Eure Hochherzigkeit beschämt mich und alle meine Ahnen.
Der Daimyo winkte ab.
„Laß es gut sein, Bascho! Ich habe so viele Menschen ins Jenseits befördert, daß es nur recht und billig ist, wenn ich dafür sorge, daß auch ein paar auf die Welt kommen. Du wirst natürlich äußerst sorgfältig mit der O-toku-San umgehen und sie wie deinen Augapfel behüten."
„Natürlich, Herr. Selbstverständlich. Nicht einmal ein Stäubchen wird sich auf dem Saum ihres Kleides setzen. Meine Frau und ich haften mit unserem Leben für Eure kostbare Puppe."
„Dir kann ich sie überlassen, Bascho, und ich tue es gern. Du kannst gehen."
Bascho Yosuke rutschte auf seinen Knien rückwärts und verließ rückwärtsgehend, sich immer wieder verneigend, den Saal.
Sobald er den Audienzsaal verlassen hatte, rannte er so schnell er konnte nach Hause. Ganz außer Atem kam er in seinem Haus an.
„Frau!" rief er. „Yodogimi, stell dir vor…"
Er rang nach Luft und brachte kein Wort mehr heraus.
Yodogimi erschien, eine zierliche schöne Erscheinung in einem hellen Kimono mit großer Rückenschleife.
„Der Daimyo gibt uns die Puppe?" fragte sie.
Bascho konnte nur nicken.
Da jubelte seine Frau wie eine Lerche. Sie schien ihm wieder ein ganz junges Mädchen zu sein, wie damals, als seine Eltern um sie geworben hatten. Die Ehe war von den Eltern von Bascho und Yodogimi gestiftet worden, wie es Sitte war.
Am nächsten Tag wurde die Puppe mit großem Gepränge vom Palast des Daimyo gebracht. Sie wurde in einer Sänfte zu Bascho Yosukes Haus getragen und einer von den höchsten Beamten des Daimyo verkündete ihre Ankunft. Zwei Diener und zwei Dienerinnen trugen die Puppe ins Haus, wo Bascho und Yodogimi ihr bereits einen Ehrenplatz bei dem Altarschrein, mit dem sie die Kami ihrer Ahnen verehrten, eingeräumt hatten.
Bascho hatte für die O-toku-San einen wertvollen Schrein aus
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