102 - Die Gottesanbeterin
Gürtel hatte sie zwei Schwerter, und sie hielt einen kurzen Knochenbogen in der Hand. Sie war die Mujina, Tomotadas Mutter und des Kokuos Werkzeug. Sie hatte ebensowenig ein Gesicht wie ihr Sohn Tomotada, aber als eine echte Mujina konnte sie sich eines geben, das sie durch ein Schnippen ihrer Finger wieder hinwegzuzaubern vermochte.
„Es hat nicht den Anschein, als wären Feinde in der Nähe", sagte Tomotada zum Kokuo. „Seid Ihr sicher, daß sie uns hier erwarten?"
Der füllige Buddha mit dem eisengrauen Haar nickte. Wenn man ihn näher ansah, merkte man, daß unter diesem vollen Gesicht die personifizierte Bosheit lauerte.
„Allerdings. Nachdem du versäumt hast, vom Schloß des Daimyo, zu dem ich dich schickte, den Kopf mit den Goldbarren mitzunehmen, muß ich mich meinen Feinden stellen. Sie wollen mich hier an diesem Ort bekämpfen und die Entscheidungsschlacht schlagen."
In den Goldbarren war ein gefährliches Wissen über den Kokuo gespeichert. Seine Feinde hatten ihn erpreßt, sich zum Kampf zu stellen. Der Kokuo war sehr ungehalten gewesen, als Tomotada ihm gesagt hatte, daß der Kopf mit den Goldbarren im Schloß des Daimyo zurückgeblieben war. Aber es ließ sich nicht mehr ändern.
„Wir werden Eure Feinde vernichten, erhabener Kokuo", sagte Tomotada. „Was meinst du, Mutter?"
Die Mujina trieb ihr Pferd näher an Tomotada heran und lachte böse.
„Du machst mir viel Freude, mein Sohn. Natürlich werden wir diese Hunde schlagen. Ihren Führern will ich die Gesichter nehmen und sie elend sterben lassen."
„Erst müssen wir sie schlagen", brummte der Kokuo. „Wir reiten im Schritt weiter."
Einer von Tomotadas Samurais kam nun angeritten. Er hielt vor Tomotada, der offiziell der oberste Führer des Heeres war, und sprach zu ihm.
„Die Stadt wird uns wie eine reife Frucht in den Schoß fallen, Tomotada. Unsere Späher haben gesagt, daß keine Anzeichen einer Verteidigung zu erkennen sind. Die Leute wollen plündern."
„Es wird getan, was ich angeordnet habe. Wir stellen uns vor der Stadt in Schlachtordnung auf." „Aber es ist kein Gegner in der Nähe. Wir sind schon lange unterwegs und haben seit Wochen keine fette Beute mehr gehabt. Ich bin auch der Ansicht, wir sollten uns in Matsue schadlos halten. Ich…" Weiter kam der Samurai nicht. Blitzschnell hatte Tomotada sein Tomokirimaru gezogen und ihm den Okesa-Schlag übergezogen. Er traf den Samurai am linken Halsansatz und schlug schräg nach unten durch Körper und Rüstung. Das Schwert kam unterhalb des rechten Schulterblatts an der Seite wieder heraus.
Der Samurai mit der Maske wandte Dojikage um und schaute über sein Heer.
„Will noch jemand Matsue plündern, bevor ich die Anordnung dazu gebe?"
Die Krieger und die Samurai senkten die Blicke. Nur die Untoten glotzten mit ihren leeren Augenhöhlen stoisch weiter in Tomotadas Richtung; ihnen war am Plündern ohnehin nichts gelegen.
Der Schwarze Samurai zog sein Pferd herum und ritt weiter. Hufe und Füße trampelten über den Leichnam des erschlagenen Samurai hinweg.
Tomotada wischte im Reiten sein Schwert mit einem Tuchfetzen sauber, den er aus der Satteltasche zog.
Das Heer kam durch den Waldstreifen und sah die Stadt Matsue direkt vor sich liegen. Tomotada hielt auf die ersten Häuser der Stadt zu. Er ritt genau zum Haus des Bascho Yosuke und seiner Frau Yodogimi.
Bascho Yosuke zitterte, als eine harte Faust an die Tür pochte. Er eilte und öffnete. Eine riesige Gestalt mit schwarzer Eisenmaske, die das ganze Gesicht verdeckte, stand vor ihm: Tomotada - der Schwarze Samurai.
Tomotada packte den schmächtigen Bilderrahmenschnitzer am Kragen, zog ihn aus der Haustür und schleuderte ihn auf den Boden.
„Rede, du Wurm! Bist du allein im Haus?"
Bascho wagte es nicht, sich zu erheben.
„Ja, Herr."
Yodogimi, seine Frau, war unter dem Hausaltar verborgen. Tomotada schickte einen Samurai ins Haus, der nachsehen sollte. Schon nach drei Minuten kam der Samurai wieder.
„Nichts", sagte er. „Nur eine O-toku-San, eine Puppe, liegt beim Hausaltar in einem Schrein." Tomotada winkte ab.
„Puppen interessieren mich nicht." Er gab Bascho einen Tritt in die Rippen, daß er aufschrie und herumrollte. „Sind viele Frauen und Mädchen in der Stadt? Junge und hübsche, he?"
Tomotada war brutal und grausam, ohne jede innere Anteilnahme. Gegen einen Gegner, den er in der Schlacht bekämpfte, empfand er nicht mehr Haß, als ein Holzfäller gegen den Baum, den er fällte. Es gab nur
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