1020 - Das Viren-Experiment
Gefäß zurückbleibende Sud wurde mit Milch aufgefüllt.
Rütger hätte sich den allabendlichen Trunk von der Robothausanlage zubereiten lassen können, aber er liebte es, einige Dinge, die ansonsten automatisch erledigt wurden, selbst zu tun.
Er war ein Mann, der bis spät in die Nacht hinein arbeitete oder las. Sein enormer, aber durchaus nicht unförmiger Körper pflegte anderen Menschen ebenso Vertrauen einzuflößen wie seine bedächtige, freundliche Art des Redens und seine klaren Augen.
Die Mehrheit, mit der man ihn alle vier Jahre erneut zum Bürgermeister wählte, mußte für die Gegenkandidaten niederschmetternd sein, und bei der letzten Wahl hatte sich gar überhaupt niemand gefunden, der bereit gewesen wäre, gegen diese Überfigur anzutreten.
An diesem Abend saß der Bürgermeister in seinem ausgebeulten uralten Sessel und schlürfte den heißen Tee, als die Außenanlage ansprach.
„Besuch für dich", meldete sie. „Ein Mann und eine Frau."
Ein Bildschirm wurde hell, und Rütger konnte die beiden Menschen vor dem Haus stehen sehen. Die Frau kannte er - es war die Pädagogin Margo Ogden. Den Mann hatte er ebenfalls schon einmal gesehen, aber er kannte seinen Namen nicht. Rütger sah auf den ersten Blick, daß die beiden Besucher erregt waren.
Er erhob sich und ließ sie hereinbitten. Margo stellte ihren Begleiter als Terrel Kadek vor.
Dann begannen beide gleichzeitig zu sprechen, und Rütger mußte sie förmlich dazu zwingen, innezuhalten und Platz zu nehmen. Er bot ihnen Tee an und schlug vor: „Warum erzählst du nicht der Reihe nach, Margo?"
Die Pädagogin berichtete, wie sie in der Bücherei mit Quiupu zusammengetroffen war und was sich danach alles ereignet hatte. Ein paarmal wollte Kadek sie unterbrechen, aber Rütgers Blick hielt ihn davor zurück. Der Bürgermeister hörte schweigend zu. Er hielt das Teegefäß mit seinen großen Händen umklammert, als wollte er es zerbrechen.
„Das haben wir gleich", sagte er, nachdem Margo geendet hatte. „Wir werden jetzt gemeinsam die Parkverwaltung anrufen und Brude Deerno fragen, ob er oder einer seiner Mitarbeiter irgend etwas Ungewöhnliches gesehen haben."
Er forderte die beiden Besucher auf, ihn in die Büroräume zu begleiten.
„Ich bin sicher, daß Deerno mich informiert hätte, wenn oben im Wandergebirge etwas passiert wäre", sagte der Bürgermeister, als er sich vor der Bildsprechanlage niederließ, um eine Verbindung zur Parkverwaltung herzustellen.
Das war eine Floskel, die er nur von sich gab, um die beiden verwirrten Besucher zu beruhigen, denn er kannte Deerno gut genug, um zu wissen, daß dieser Mann versuchen würde, Zwischenfälle auf eigene Faust zu lösen. Seit langem bemühte Deerno sich um eine führende Position in der Stadtverwaltung, und Rütger, der ihn nicht mochte, erfand geduldig immer neue Kniffe, um ihn hinzuhalten.
Der Bürgermeister bekam sofort Kontakt. Auf dem Bildschirm zeichnete sich das Gesicht von Rarg Tomen ab. Tomen wirkte überrascht, sogar ein bißchen schuldbewußt.
Entweder, weil er nicht mit einem so späten Anruf gerechnet hatte oder weil es etwas zu verbergen gab, was der Bürgermeister nicht erfahren sollte.
Rütger verbannte diese Gedanken aus seinem Bewußtsein.
„Ich möchte Brude sprechen", verlangte er.
Nach einigem Zögern bekannte Tomen: „Deerno ist nicht hier."
„Wieso?"
„Er ist zusammen mit Fars Quinton zur Wanderhütte am Kreuzstamm unterwegs."
„Mitten in der Nacht?" wunderte sich Rütger. „Vielleicht auch noch zu Fuß?"
„Nein, sie benutzen den Gleiter."
Rütger befeuchtete die Lippen mit der Zungenspitze. Er spürte, daß Tomen nervös war.
„Was ist der Grund für ihren Ausflug?"
„Wir haben einen Anruf von zwei Besuchern erhalten, die die Wanderhütte am Kreuzstamm gemietet haben", erklärte Tomen. „Sie glauben, daß ein Maler ... verunglückt ist."
Ein seltsames Gefühl beschlich den Bürgermeister.
„Was heißt das?" fragte er unwillig. „Ist jemand verunglückt oder nicht?"
„Wir haben einen völlig zerstörten Robbie hier, eine Rodungsmaschine", brach es scheinbar zusammenhanglos aus Tomen heraus. „Niemand kann sich erklären, wer oder was den Automaten so zugerichtet hat. Carl Pusek und Adylein Cont, das sind die beiden oben in der Wanderhütte, berichteten von entwurzelten und entlaubten Bäumen."
Rütger atmete schwer und stieß eine lautlose Verwünschung aus. Er schaltete den Sender für einen Augenblick ab und wandte sich zu Margo
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