1021 - Der unsichtbare Gegner
den Pfleger, der während der Nacht die ganze Station zu betreuen hatte. Er war der einzige, der allein zu den Patienten ging. Die Ärzte und Schwestern kamen grundsätzlich zu zweit. Doch für den Pfleger war es noch zu früh. Tosen mußte sich wenigstens noch eine Stunde gedulden, bis er ihn rufen konnte.
Er kehrte zum Bett zurück, legte sich hin und schlief augenblicklich ein. Nach einer Stunde wachte er wieder auf, und er fühlte sich sofort frisch. Erneut ging er zur Tür. Er drückte einen Knopf neben einem Sichtfenster, das ebenfalls nur von außen geöffnet werden konnte.
Dann schob er ein hauchdünnes Plättchen in den Türspalt und tastete sich damit bis zum Schloß vor. Danach ließ er einen Draht, den er sich in den vergangenen Tagen besorgt hatte, an dem Plättchen entlang und bis in die elektronische Steuerung des Schlosses gleiten. Schon nach Sekunden glitt der Riegel zur Seite.
Bruke Tosen öffnete die Tür und verließ den Raum.
Noch hielt sich auf dem Gang davor niemand auf. Das kühl glänzende Auge einer Videokamera war der einzige Beobachter, doch der störte Tosen nicht. Er eilte zu einem abzweigenden Gang und kauerte sich hinter einen Sessel.
Kaum hatte er sein Versteck erreicht, als sich energische Schritte näherten. Der Pfleger kam. Tosen blickte über das Sitzmöbel hinweg. Sein Gegner war etwa einen halben Meter größer als er, hatte weit ausladende Schultern und schien unüberwindlich zu sein.
Der Pfleger blieb vor der Tür zu Tosens Krankenzimmer stehen. Er drückte einen Knopf, und die Lampe über der Tür, die ihm mit Blinksignalen angegeben hatte, von wo er gerufen worden war, erlosch. Er blickte durch das Fenster in der Tür, durch das er in jeden Winkel des Raumes blicken konnte.
Er zuckte sichtlich zusammen, als er bemerkte, daß Tosen sich nicht in seinem Krankenzimmer aufhielt. Energisch riß er die Tür auf. Dabei hob er eine Hand, als wolle er einen Angriff abwehren. Doch Tosen kam nicht aus dem Zimmer heraus auf ihn zu, sondern von hinten. Er hieb ihm die Faust in den Nacken. Der Pfleger stürzte auf die Knie und drehte sich halb um. Ein zweiter Schlag traf ihn an der Schläfe und fällte ihn endgültig.
„An dir kann man sich wirklich die Finger verbiegen", murmelte Tosen.
Er schleppte den Bewußtlosen ins Krankenzimmer und legte ihn aufs Bett. Dann klebte er ihm die Arme und Beine mit einem Spezialkleber zusammen, den man ihm zum Basteln gegeben hatte. Er sicherte das Werk ab, indem er dem Pfleger zusätzlich Stoffstreifen aus dem Bettlaken um Arme und Beine und einen Knebel über den Mund legte. Danach deckte er ihn sorgfältig zu, so daß jeder, der nicht allzu genau hinsah, ihn für einen schlafenden Patienten halten mußte. Er verschloß die Tür wieder und eilte mit der Identifikationskarte des Pflegers zum Stationszimmer. Mit Hilfe der Identifikationskarte löschte er die Videoaufzeichnung, auf der zu sehen war, wie er sein Krankenzimmer verließ, wie der Pfleger kam und wie er ihn überwältigte. Er stellte eine Aufzeichnung her, auf der lediglich die Tür und die eingeblendete Zeit festgehalten waren. Sie würde keiner genauen Überprüfung standhalten, aber das war gar nicht notwendig. Falls das Verschwinden des Pflegers überhaupt vor Ablauf von einigen Stunden auffiel und jemand kam, um nach ihm zu suchen, würde er jedenfalls anhand einer flüchtigen Kontrolle der Aufzeichnung nichts bemerken. Damit aber hatte Tosen bereits den Vorsprung gewonnen, den er benötigte. Er verließ das Stationszimmer und eilte über die Nottreppen in den Keller.
In den Versorgungsräumen wie Küche und Formteileproduktion, in der vom Eßgeschirr bis zu Bettwäsche und Kleidungsstücken alles hergestellt wurde, was zur einmaligen Benutzung gedacht war, hielt sich niemand auf. Tosen hatte es nicht anders erwartet.
Er schloß die Robotüberwachung der Ausgänge kurz und verließ die Klinik durch eine Tür, die gewöhnlich nur von den computergesteuerten Versorgungswagen benutzt wurde.
Dann tauchte er im Dunkel des Parkgürtels unter, der die Klinik umgab.
Ein Gleiter näherte sich ihm. Die hellen Strahlen der Scheinwerfer schienen sich suchend durch das Laub der Bäume und Büsche zu tasten.
Bruke Tosen versteckte sich hinter einem Baum und blieb gelassen stehen. Er war so ruhig, daß sich noch nicht einmal sein Herzschlag beschleunigte, denn er war sicher, daß ihn bis jetzt noch niemand suchte.
Die Maschine flog lautlos an ihm vorbei, und er sah die dunklen Konturen
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