1021 - Ich jagte den untoten Engel
weil Doriel einfach zu faszinierend ist. Er wird sie in seinen Bann geschlagen haben, wie es schon mit vielen Menschen passiert ist. Er und Ihre Jane werden nun ein Paar bilden.«
»Sie vergessen den Joker, Mr. Chadwick!« flüsterte Sarah Goldwyn scharf.
»Ach. Diesen Sinclair, meinen Sie?«
»Wen sonst?«
»Ich habe von ihm gehört. Nichts gegen seine Erfolge, die ich ihm gönne. Aber vergessen Sie ihn, Sarah. Auch er ist nicht stark genug, um Doriel zu stoppen. In ihm fließen Energien, die wir uns kaum vorstellen können. Er ist kein Mensch. Er ist eine dämonische Kreatur. Das müssen Sie doch endlich einsehen.«
»Klar, ich weiß, Mr. Chadwick. Trotzdem habe ich noch Hoffnung.«
»Sinclair?«
»Genau der!«
Morgan Chadwick schickte ihr ein widerliches Lachen. »Auch er wird es nicht schaffen. Alles wird seinen normalen Gang laufen, darauf können Sie sich verlassen.«
»Ja, aber…«
»Ich werde jetzt das Gespräch beenden, das eigentlich nicht stattgefunden hat. Gönnen Sie Ihrer Jane Collins das neue Leben, Mrs. Goldwyn. Sie wird es bei Doriel sehr gut haben. Wer kann schon von sich behaupten, Partnerin eines Engels zu sein?« Die letzte Frage hatte ihn amüsiert. Er lachte am meisten darüber, daß Lady Sarah das Gespräch abrupt beendete, denn sie legte den Hörer einfach auf.
Still und unbeweglich blieb sie in ihrem Sessel hocken. Sie kam sich vor wie jemand, der soeben die Sauna verlassen hatte. Über und über war sie mit kaltem Schweiß bedeckt, der einen Juckreiz auf der Haut hinterlassen hatte. Sie hielt den Kopf gesenkt und starrte ihre Knie an, über die sie mit den Handflächen hinwegschabte, um sie trockenzureiben.
In ihrem Kopf tuckerte es. Sie dachte über das Gespräch nach und gab selbst zu, den richtigen Riecher gehabt zu haben.
Ein untoter Engel auf der einen und Jane Collins auf der anderen Seite. Ungleicher konnte ein Paar nicht sein. Es stellte sich die Frage, ob Jane überhaupt noch eine Chance hatte, wobei sie John Sinclair in diese Frage mit einschloß.
Sarah brauchte nicht lange zu überlegen, um den Kopf zu schütteln. Am schlimmsten war, daß sie jetzt alles wußte, in der Wohnung hockte und nichts tun konnte.
Okay, sie hätte Sir James Powell noch einmal anrufen können, aber was hätte es gebracht? Nichts, denn Morgan Chadwick hätte jedes Wort abgestritten.
Also blieb ihr nichts anderes übrig, als hier zu warten und zu hoffen. Besonders darauf, daß es John Sinclair schaffte, den untoten Engel zu vernichten…
***
Die Bierdose hatte ich geleert und zur Seite gestellt. Mir wurde eine zweite angeboten, die ich jedoch ablehnte. Es hatte auch keinen Zweck, sich über Morgan Chadwick Gedanken zu machen. Er hielt sich in London auf und war weit vom Schuß. Ich befand mich in Schottland, und hier spielte die Musik, die von einem Kapellmeister namens Doriel dirigiert wurde.
Die McCormicks sahen nicht eben fröhlich aus, als sie neben mir standen und mich anschauten. Am liebsten wären sie verschwunden, das war ihnen anzumerken.
Ich strich über meine Stirn. Es war schwüler geworden. Wenn ich mich drehte, konnte ich über den See schauen. Er lag dort wie ein dunkler Spiegel. Die sonst immer etwas rauhe Wasserfläche bewegte sich kaum, denn auch der Wind war eingeschlafen. Er schien im Hintergrund zu lauern, und zwar dort, wo sich im Westen die düstergraue Wolkenbank mit ihren gelben Rändern aufgebaut hatte. Eine Gewitterluft, ein erstes Sommergewitter, das über den See hereinbrechen würde und die Landschaft hier in eine gewaltige Dusche verwandelte, in der sämtliche Umrisse verschwanden und ideal für diejenigen war, die Böses im Schilde führten.
Der alte McCormick sprach mich an, nachdem er mit einem Schulterzucken angedeutet hatte, daß er ebenfalls ratlos war. »Was wollen Sie jetzt tun, Mr. Sinclair?«
»Warten. Aber nicht hier. Ich werde in Ihren Anbau gehen und mit Jane Collins sprechen.«
»Gut. Wir bleiben dann hier.«
Ich warf noch einen Blick zum Himmel. »Sie haben doch Erfahrung, Mr. McCormick. Wann, meinen Sie, wird das Gewitter hier sein?«
»Das kann ich nicht auf die Minute sagen. Es kann sehr schnell gehen, kann auch noch dauern. Eine halbe Stunde vielleicht. Könnte Ihnen das helfen?«
»Ja, kann sein.«
»Ist es denn wichtig?«
Ich verzog den Mund. »Es sind alles nur Vermutungen, die mich beschäftigen, nichts Konkretes.«
Deshalb werde ich diese Vermutungen auch für mich behalten.
»Gut, wir drücken Ihnen die Daumen.«
Ich
Weitere Kostenlose Bücher