1021 - Ich jagte den untoten Engel
ließ die beiden stehen und wandte mich dem Anbau zu, in dem ich Jane zurückgelassen hatte.
Sehr aufmerksam öffnete ich die Tür, rechnete sogar mit einem Angriff, aber Jane lag noch immer dort, wo ich sie abgelegt hatte.
Der Anbau diente als Lager und als Gerümpelkammer. Alte Angeln, Werkzeuge, Kisten und Kartons mit Konserven, zwei alte Bänke, an denen Holzlatten fehlten und auch zwei Bootsmotoren waren in einer Ecke aufgebockt. An der Wand hingen mehrere Planen, auf die Staub seine Schicht gelegt hatte.
Das alles war zu sehen, weil das Licht brannte. Zwar nicht sehr hell, doch für diese Zwecke reichte es. Ich fand einen wackligen Hocker, der mir als Sitzplatz diente, und das direkt neben der immer noch regungslosen Jane Collins.
Nein, so regungslos war sie nicht, auch wenn sie sich jetzt nicht bewegte. Sie hatte die Mundwinkel verzogen, als wolle sie auf eine bestimmte Art und Weise lächeln.
Ich tat so, als hätte ich nichts davon bemerkt und schaute sie einfach nur an.
Eine veränderte Jane. Eine Frau, deren Haut den gleichen Farbton angenommen hatte, wie die des untoten Engels. Fahl, leichenhaft und zugleich etwas bläulich, als hätten sich auf diesem Körper zahlreiche blaue Flecken gebildet.
Es war still in unserer Umgebung. So still, daß ich das Grummeln hörte. Es war in weiter Ferne aufgeklungen, um als unheilvoller Hall über den See zu treiben.
Die Vorboten des Gewitters oder Unwetters. Ein Naturereignis, das zu meiner Stimmung paßte.
Das Kreuz zeigte ich nicht offen. Ich ließ es in meiner Tasche stecken. Zum gegebenen Zeitpunkt würde ich es hervorholen. Noch war es nicht soweit.
Jane lag auch weiterhin wie eine Figur vor mir. Aber sie atmete, das war deutlich zu sehen, und so startete ich einen Versuch.
»Du bist wach, wie?«
Ihre Lippen zuckten. Mehr geschah nicht.
»Warum willst du nicht reden, Jane?«
Sie schlug die Augen auf, blieb aber liegen und schaute mich einfach nur an. »Ich warte auf ihn«, flüsterte sie, »und ich weiß, daß er mich nicht im Stich lassen wird. Da kannst du sagen, was du willst, John. Er ist mein Partner, nicht du.«
»Es tut mir leid, Jane, aber du weißt nicht, worauf du dich da eingelassen hast.«
»Er hat mich gerettet.«
»Weil er dich wollte.«
»Ist das schlimm?«
»Ja, denn du bist keine gleichwertige Partnerin. Du bist nichts anderes als ein Opfer, das er immer wieder benutzen will, wenn es ihm gerade mal in den Sinn kommt. So und nicht anders muß man es sehen. Es tut mir leid, daß ich dir das sagen muß.«
»Ich bleibe bei ihm.«
»Weißt du, daß er kein Mensch ist?«
»Ich liebe Engel.«
»Richtig«, sagte ich und ging darauf ein. »Engel sind etwas Besonderes. Auch ich mag sie. Nur keinen untoten oder höllischen Engel, denn nichts anderes ist er doch. Er ist nicht gut. Er ist ein Günstling des Teufels, wie auch immer. Ich kenne keinen Engel, dessen Zunge so lang ist wie eine Schlange.«
»Ich liebe diese Berührungen«, flüsterte Jane. »Er hat mich liebkost. Es war wunderbar.«
»Nein«, sagte ich kopfschüttelnd. »Es kann nicht wunderbar gewesen sein. Du bist ein Mensch, Jane, aber er ist es nicht. Er ist ein Toter, einer, der in der Graberde nicht der Verwesung anheimgefallen ist. Denkst du denn gar nicht daran?«
»Für mich lebt er. Ich will mit ihm allein den einzigen richtigen Weg gehen.«
»Versuch es.«
»Das hört sich an, als wolltest du mich daran hindern, John.«
»Ja.«
»Er wird dich vernichten.«
»Nein, Jane. Ich werde mich zu wehren wissen. Normale Engel fürchten sich nicht vor einem Kreuz. Er aber wird durch den Anblick zurückgeschlagen werden. In meinem Talisman steckt die Kraft des Lichts, die auch die Kraft der Erzengel ist, die nicht grundlos ihre Insignien an den Seiten hinterlassen haben. Das solltest du dir immer vor Augen halten, Jane Collins.«
»Doriel wird alle Schwierigkeiten überwinden«, flüsterte sie. »Er hat auch den Tod überwunden. Er kennt die Welt. Ich habe es gespürt. Er ist uralt, er lebt schon lange und er wird endlich seinen großen Sieg erreichen, das weiß ich.«
Diesmal bekam Jane keine Antwort, denn ich dachte über bestimmte Worte nach. Sie hatte von einer langen Existenz gesprochen, diese aber zeitlich nicht begrenzt. Sie hatte ihm keinen Anfang gegeben und verließ sich voll und ganz auf seine Kraft, die sich in all den Jahren gehalten haben mußte.
War das nur bei Engeln der Fall, oder konnte ich noch einen Schritt weitergehen?
Ja, ich ging ihn weiter
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