1022 - Der Held von Arxisto
heutigen Tag dazu nutzen, selbst auf Erkundung zu gehen, um mir mit eigenen Augen ein Bild über die Lage machen zu können. Der Ausnahmezustand bleibt bis auf weiteres bestehen."
*
„Es ist vorbei", sagte Eleva Draton und unterdrückte den Impuls, Sauls Hände zu drücken, die noch im Heilverband steckten. Doc Lorghen hatte ihr versichert, daß er in ein paar Tagen seine Hände wieder voll gebrauchen könnte und sie ihre Sensibilität fast hundertprozentig zurückbekommen würden. Und wie war es mit seinen Augen?
„Es besteht kein Grund zur Besorgnis", hatte Lorghen versichert.
„Und warum zögerst du dann die Transplantation hinaus?" hatte Eleva gefragt.
„Zuerst müssen die wunden Augenhöhlen ausheilen, der Sehnerv muß regeneriert werden."
„Mach mir nichts vor, Doc. Das ist doch nicht das eigentliche Problem."
„Es gibt kein wirkliches und unlösbares Problem, Eleva. Aber darüber sprichst du am besten selbst mit Saul. Er kennt die Wahrheit."
„Du hast ihm gesagt...?"
„Saul ist der Betroffene, und er ist mündig. Er hat ein Anrecht darauf, zu erfahren, wie es um ihn steht."
„Wäre es nicht gnädiger, ihn allmählich auf sein Schicksal vorzubereiten?"
„Ich halte nichts von Heuchelei. Abgesehen davon ist sie in Sauls Fall gar nicht nötig. Er wird bald wieder sehen können. Sprich mit ihm."
Und sie suchte ihren Freund im Krankenzimmer auf und sprach mit ihm. Es tat ihr weh, daß sie ihm dabei nicht in die Augen sehen konnte; das dick aufgetragene Biogelee verdeckte seine Augenhöhlen.
„Es ist vorbei", redete sie ihm zu. „Gestern war den ganzen Tag über Ruhe. Bald wird wieder der Alltag nach Arxisto-Park zurückkehren, und wir werden an diese Geschehnisse wie an einen bösen Traum zurückdenken."
„Das glaube ich nicht, Eleva", sagte Saul. „Es braut sich etwas zusammen, das noch viel schrecklicher ist als alles Vorangegangene. Ich sehe es förmlich vor mir, als könnte ich durch ein Fenster in diese andere Welt blicken, von der aus wir bombardiert werden. Die Schrecken werden nicht lange auf sich warten lassen..."
„Was redest du da, Saul", sagte Eleva. „Kopf hoch! Es wird alles wieder gut. Doc Lorghen ist sehr optimistisch, was dich betrifft."
„Ich rede doch nicht von mir", sagte er ungehalten. „Ich zweifle nicht daran, daß ich bald wieder sehen kann. Im Augenblick sehe ich jedoch ..."
„Du hattest Alpträume, Saul. Vergiß sie." Eleva strich ihm zärtlich übers Gesicht, und er schenkte ihr dafür ein Lächeln. Aber es war nicht das sanfte, zärtliche Lächeln, wie sie es von ihm kannte; es lag ein Schatten darüber.
„Ich wünschte, es wären bloß Alpträume", sagte er. „Aber so etwas kann man nicht träumen."
„Sprich dich aus, wenn es dich erleichtert", verlangte sie. „Ich habe früher alles mit dir geteilt und will auch das gemeinsam mit dir durchstehen."
„Was sollen diese dauernden Anspielungen", sagte er verärgert. „Ich brauche dein Mitleid nicht. Mir geht es blendend, Eleva. Ich weiß, daß ich wieder sehen werde. Es ist nur eine Frage der Zeit. Wenn ich wollte, könnte ich mir schon heute neue Augen einpflanzen lassen. Aber - möchtest du mich als blauäugigen Arkoniden haben?"
„Das ist es also!"
„Ja, das ist es!" äffte er sie nach. „Entschuldige, ich bin wohl doch nicht ganz so gefaßt, wie ich gerne vortäuschen möchte. Das Warten zehrt an den Nerven. Doc Lorghen hat mir gesagt, daß in seiner Organbank nichts Passendes für mich auf Lager ist. Er hat keine Arkonidenaugen auf Vorrat und muß sie einfliegen lassen. Aber das geht erst, wenn sich die Situation beruhigt hat. Darum muß ich warten."
Sie lachte befreit.
„Dann wird es nicht mehr lange dauern", sagte sie. „Staball kann jede Minute den Ausnahmezustand aufheben. Und wenn der normale Betrieb wieder aufgenommen wird, dann steht dem Organtransport nichts mehr im Wege. Das Leben in Arxisto-Park verläuft wieder in geregelten Bahnen."
„Nein!" Saul schrie es fast. Eindringlich fuhr er fort: „Du mußt Staball warnen, Eleva.
Noch besser, schick ihn zu mir. Ich muß ihm selbst erzählen, was ich sehe ... Da!"
„Was ist, Saul?" Eine eisige Hand griff nach Elevas Herzen, als sie sah, wie es in seiner unteren Gesichtshälfte zu arbeiten begann.
„Die Bilder kommen zurück. Ich sehe wieder ... es ist, als ob ich selbst in dieser fremdartigen Landschaft stünde und zu diesen geflügelten Ungeheuern gehörte, die zum Kampf gegen die - ich weiß nicht, wie ich sie
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