1026 - Blutige Vergangenheit
Blitzschnell zuschlagen, bevor der andere überhaupt begriff, was mit ihm passierte.
Ein paarmal hatten seine langen Arme schon gezuckt, aber er hatte die Krallen immer wieder zurückgezogen. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn sich John Sinclair in seiner unmittelbaren Nähe befunden hätte, aber er war nicht da.
Wieder bewegten sich Beine nicht weit von der Maueröffnung entfernt. Sehr günstig für ihn. Kein langes Zögern mehr. Er mußte jetzt etwas tun. Es war ihm auch egal, ob er es mit einem Mann oder einer Frau zu tun bekam. Fleisch war Fleisch und Blut ebenfalls.
Er kroch vor. Hörte eine nicht mehr ganz sichere Männerstimme.
Die Beine sah er, auch einen Teil des Oberkörpers, nur der Kopf war nicht sichtbar.
Duncan griff zu. Seine Krallen umklammerten die Beine in Wadenhöhe. Die Spitzen drangen durch den Stoff, die rissen erste Löcher in das Fleisch hinein, und Schmerzen mußten hoch bis zu den Oberschenkeln steigen.
Der Mann schrie nicht. Er war überrascht. Hinter ihm schob sich Duncan geschmeidig durch das Loch. In dem Trubel fiel er nicht auf, und seine Aktion dauerte auch nicht lange, denn er preßte seine Klaue noch auf die Lippen des anderen, so daß dieser nicht schreien konnte.
Dann riß Duncan sein Opfer zu Boden, zerrte es aber sofort durch das Loch nach draußen und legte es dort auf den Rücken.
Erst jetzt wurde dem anderen bewußt, was mit ihm geschehen war. Er starrte in die Höhe, und sein Blick traf das teuflische und schrecklich veränderte Gesicht.
Im nächsten Augenblick spritzte Blut. Die Krallen hatten die Kehle des Opfers getroffen und ihn mit diesem einen Hieb getötet.
Endlich, dachte das Tier – endlich.
Es war sehr zufrieden…
***
»Hast du ihn gesehen?« fragte ich Suko, als wir uns zwischen den Feiernden trafen.
Er schüttelte den Kopf.
»Mist!«
»Wie geht es dem Mann?«
»Er hat zum Glück nur ein paar Wunden abbekommen, die nicht lebensgefährlich sind.«
»Okay, aber das hilft uns nicht weiter. Karen hat übrigens auch nichts gesehen.«
»Dann lauert er noch.« Ich wies zu den Kronen der Mauern. »Er schafft es sogar, daran in die Höhe zu klettern. Der hat keine normalen Hände mehr, sondern Krallen. Er ist zu einem verdammten Tier geworden, aber zu einem, wie wir es nicht kennen. Da mischen sich Tier und Dämon zusammen.«
Suko schaute ebenfalls in die Höhe. »Es hat keinen Sinn, wenn wir hochklettern. Auch wenn wir es schaffen würden, wir wären ihm immer unterlegen.« Dann tippte er gegen meine Brust, wo normalerweise mein Kreuz hing. Diesmal nicht. Ich hatte es abgenommen und in die Tasche gesteckt, um es sofort greifbar zu haben. »Hat es sich gemeldet?«
»Nein, das nicht.«
»Aber Duncan ist nicht stärker?«
»Er war nicht nahe genug herangekommen.«
»Ja, das kann sein«, sagte Suko und schaute sich um. »Verdammt, er muß hier auffallen, wenn er…«
Ein schrecklicher Schrei unterbrach ihn. Es war nicht herauszufinden, ob er von einem Mann oder einer Frau ausgestoßen worden war. Er war einfach nur grauenhaft und übertönte auch den Lärm der Feiernden. Die meisten Gäste waren erstarrt. Sie blieben dort stehen, wo sie gerade standen, niemand lief los, um sich um den Schreienden zu kümmern.
Bis auf Suko und mich!
Wir hatten gehört, daß er an der gegenüberliegenden Seite aufgeklungen war. Keine Entfernung, aber wir mußten uns unseren Weg schon bahnen. Vorbei an den starren Menschen, den Grillöfen und den bauchigen Bierfässern.
Sehr schnell wußten wir die Lösung.
Es gab das Loch in der Wand. Daneben stand Karen Sinclair. Sie hatte den Schrei ausgestoßen. Jetzt zitterte sie nur noch und starrte vor ihre Füße.
Was aus der Öffnung nach innen ragte, war ein zerfetzter und blutbeschmierter Männerarm…
***
»Kümmere dich um Karen!« sagte ich und fiel dabei auf die Knie.
Das Schreien der Frau hatte andere Menschen alarmiert und angelockt. Sie umdrängten Karen Sinclair, bestürmten sie mit Fragen und wollten wissen, was geschehen war.
Karen schüttelte nur den Kopf. Sie war hilflos und weinte. Suko drängte die Leute ab, und ich nahm durch meine Haltung den Gaffern den Blick auf den Durchgang.
Der Arm sah schrecklich aus. Leider war er nicht künstlich wie in einem Horrorfilm, sondern verflucht echt. Sogar das Blut war zu riechen. Aber ich sah noch mehr, und der Klumpen in meinem Magen verwandelte sich in einen Stein, der mich fast zum Ersticken brachte.
Der Anblick des Toten war schlimmer als der der beiden
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