1033 - Schlangenfluch
durch die Nase atmen. Den Mund hielt sie geschlossen und noch eine Hand vor die Lippen gepreßt. So klang ihr Würgen nicht so laut.
Gilmore übernahm das Wort. »Geschockt?« fragte er, bevor er lachte. »Warum? Die Schlangen sind meine Freunde. Ich liebe sie, und sie lieben mich.« Er bückte sich und hob zwei Giftschlangen auf. Eine Kobra und eine Klapperschlange. Sie ringelten sich in seinem Griff, und sie züngelten dabei dicht an seinem Gesicht.
Jane hielt für einen Augenblick den Atem an, als sie sah, wie die Zungen der beiden Tiere über die Wangen des Mannes hinwegglitten, und die Haut liebkosten. Ihre Mäuler waren dabei weit aufgerissen, so daß die Giftzähne hervortraten, sich aber nicht in die Haut hineinsenkten.
Noch nicht.
Plötzlich aber bissen sie zu.
Vor Schreck schrie Kelly auf. Sie ließ dabei die Hand sinken. Ihr Gesicht zitterte, obgleich es wie versteinert wirkte, und sie sah aus, als würde sie den Schrei des Entsetzens gerade noch unterdrücken.
Dann drehte sie den Kopf weg, als Gilmore seine beiden Lieblinge wieder fallen ließ. Sie landeten am Boden und glitten dort zu einer Stelle hin, die ihnen gefiel.
Gilmore aber blieb stehen. Seine Arme hingen zu beiden Seiten des Körpers herab. In dieser Haltung sah er aus wie ein Denkmal, bei dem sich nichts mehr bewegte. Seine Augen waren starr geworden.
Aus ihnen war jegliches Leben verschwunden. Es gab keinen Ausdruck mehr. Die Frauen hatten den Eindruck, als hätte dieser Mensch Schlangenaugen bekommen. Den Mund öffnete er nur leicht, als er anfing zu sprechen. Das allerdings mit flüsternden Worten.
»Es sind die Schlangen, die mir die Kraft geben, und es ist der Geist des alten Beschwörers, der nicht zerstört werden konnte. Er lebt weiter in mir, in den Schlangen, und er verlangt das Ritual, dem ich mich nicht entziehen kann.«
Noch einmal blickte er seine Gefangenen an. Dann drehte er sich um und ging weg.
Nicht schnell. Mit sehr gemessenen Schritten bewegte sich Peter Gilmore auf die Treppe zu. Er wußte genau, was er wert war. Hier im Verlies herrschte er. Hier war er der König. Der Herr der Schlangen.
Vor dem Käfig mit der Nahrung blieb er für einen Moment stehen.
Wie versonnen schaute er durch den Maschendraht, hinter dem sich die pelzigen Körper zusammendrängten.
Nach vorn hin bildete die Grenze zugleich ein Klappe. Sie wurde durch Haken an zwei Seiten gehalten.
Mit der rechten und der linken Hand löste Peter Gilmore beide Haken zugleich.
Die Klappe fiel nach vorn.
Freie Bahn für die Tiere!
Ein scharfes Lachen des Mannes trieb sie noch an. Gilmore lief die Stufen rasch hoch. Hinter ihm aber quollen all die Ratten und Mäuse aus dem Gefängnis, um endlich freie Bahn zu haben.
Nur wußten sie nicht, daß die Schlangen bereits lauerten…
***
England litt noch immer unter dem Schock eines sinnlosen Todes, den Diana erlebt hatte. Mochte sie für einige auch eine gespaltene Persönlichkeit gewesen sein, es war schon sehr traurig, daß dieser Mensch hatte sterben müssen.
Die Begräbniszeremonien waren vorbei, doch die Trauer hatte kaum nachgelassen. Elton John’s Lied »Candle in the Wind«, das er für seine Freundin Di geschrieben hatte, war längst zu einem Megahit geworden, den jeder Sender zu jeder Minute oder Stunde irgendwann spielte. Noch immer trafen trauernde Menschen aus vielen Stellen des Landes ein, um am Kensigton Palace, wo Diana gewohnt hatte, Blumen abzulegen.
Alles schien langsamer zu laufen in dieser Riesenstadt, und das schlug sich auch auf die Mobilität nieder. War London an normalen Tagen stets verstopft, so verstärkte sich dieser Verkehrsstau noch, unter dem wir ebenfalls zu leiden hatten.
Die Fahrt in den Norden der Stadt wurde für Suko und mich zu einer Geduldsprobe. Es waren einfach zu viele Menschen in der Stadt, die sich nicht auskannten und deshalb umherfuhren wie verloren, die nach etwas suchten.
Da wir dementsprechend langsam waren, konnten wir auch im Büro anrufen. Immer in der Hoffnung, daß sich Jane gemeldet hatte.
Das war nicht der Fall. Weder bei Glenda noch bei Lady Sarah im Haus hatte sie sich gemeldet. Sie konnten ihren Anrufbeantworter abhören, aber es war leider keine Nachricht für sie vorhanden.
»Da ist doch was schiefgelaufen«, erklärte Suko. »Das sagt mir einfach mein Gefühl.«
»Und weiter?«
»Was willst du hören?«
»So etwas wie die Wahrheit.«
»Die kenne ich nicht.«
Da hatte er recht. Der Wahrheit liefen wir hinterher, aber das waren
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