1033 - Schlangenfluch
»unterhielt«, dann reagierten sie so, wie er es haben wollte.
Er gab ihnen auch zu essen.
Zweimal hatte sie erlebt, wie der Gitterkäfig geöffnet worden war.
Kurz nur, damit einige der Beutetiere Zeit genug hatten, ihr Gefängnis zu verlassen. Immer waren es Ratten und Mäuse zugleich gewesen, die den großen Traum von der Freiheit aufgeben mußten, wenn sie erst einmal in die Nähe der Schlangen gerieten.
Da hatte Kelly erlebt, wie schnell diese Kaltblüter reagieren konnten. Blitzartig zubeißen, die Beute festhalten, sie dann verschlingen, ihnen keine Chance geben.
Sie nahmen jedes Geräusch wahr, denn sie reagierten auf die leichtesten Erschütterungen des Bodens. Weder eine Ratte noch eine Maus schaffte es, ihnen zu entkommen.
Das alles hatte Jane Collins von ihrer Mitgefangenen erfahren und hatte sich auf die neue Situation einstellen können. Eine Frage allerdings blieb offen, und die mußte sie mehrfach stellen. »Was will er damit erreichen, Kelly? Was steckt dahinter?«
Die Angekettete schaute Jane Collins länger an als gewöhnlich.
»Ich kann es dir nicht genau sagen, Jane. Ich weiß es einfach nicht. Dieser Mensch hat es mir nicht genau gesagt. Er sprach nur von einem alten Schlangenfluch, den er erfüllen muß.«
»Magie?«
»Vielleicht. Aber damit habe ich mich nicht beschäftigt. Du etwa?«
»Hin und wieder schon.«
»Tut mir leid. Ich kann da nicht mitreden.«
»Wird man dich denn nicht vermissen?« fragte Jane nicht ohne einen Hintergedanken.
»Klar. Ada Gilmore bestimmt. Ich war in der letzten Zeit jeden Tag bei ihr und habe ihr geholfen. Aber was soll sie machen? Eine Vermißtenmeldung aufgeben? Das wird sie möglicherweise tun, allerdings dann, wenn es zu spät ist.«
»Sie hat bereits reagiert, denn sie hat mich geschickt. Auch wenn sie mich unter einem Vorwand engagiert hat. Aber was tut man nicht alles als Privatdetektivin. Man begibt sich selbst auf die Suche nach verschwundenen Neffen, um ihnen Botschaften zu überreichen, auch wenn es nur eine Täuschung gewesen ist.«
»Davon gehst du also aus?«
»Ja, was sonst?« Jane lächelte Kelly zu. »In Wirklichkeit wollte Ada Gilmore, daß ich dich finde. Sie muß einfach Verdacht geschöpft haben. Der Neffe interessiert sie nicht wirklich. Es ging ihr um dich, denn du bist wichtig für sie. Sie braucht dich, und sie wird sich heimlich gedacht haben, daß ihr sauberer Neffe etwas mit deinem Verschwinden zu tun hat. Das ist meine Ansicht.«
Kelly Farlane dachte darüber nach. Sie senkte irgendwann den Kopf wie jemand, der sich schämt. »Wenn ich ehrlich sein soll, muß ich mit dieser Möglichkeit erst zurechtkommen, denn ich hätte nie im Leben daran gedacht.«
»Auch wenn es sich etwas oberlehrerhaft anhört, Kelly. Manchmal schreibt das Leben doch recht komplizierte Wege, die dann eingehalten werden müssen. Ob freiwillig oder nicht.«
Kelly gab ihr durch ein Nicken recht. Sie war in den letzten Stunden noch bleicher geworden. Die Qual sah man ihr an. Sie quälte der Durst. Immer wieder ließ sie die Zungenspitze über ihre trockenen Lippen gleiten, aber es würde noch dauern, bis der Hundesohn erschien, um ihnen etwas zu trinken zu bringen.
Jane trug die Uhr am linken Handgelenk. So konnte sie wenigstens die Zeit verfolgen. Die achte Morgenstunde war beinahe vorbei. Sie hockte im Verlies, während es draußen schon längst hell geworden war. Ihre Bewegungsfreiheit war durch das Vorhandensein der Schlangen eingeschränkt worden. Jane traute sich nicht, das Gefängnis zu untersuchen. So blieb sie Kelly gegenüber hocken und wartete immer nur ab. Es war ihr auch nicht möglich, die Ketten zu lösen.
Dazu hätte sie erst die eisernen Ringe aufschließen müssen, die beide Gelenke der Frau umklammerten.
Die Schlangen lagen in ihrer Nähe. Es gab welche, die wachten und darauf warteten, daß sie etwas unternahmen. Andere wiederum lagen träge auf dem Boden oder hatten ihre Plätze auf den Treppenstufen gefunden, wo sie aussahen wie kleine Taurollen, so sehr hatten sich die Tiere zusammengeringelt.
»Haben wir noch eine Chance, hier herauszukommen?« fragte Kelly Farlane. In ihrer Stimme lag nur wenig Hoffnung.
»Diese Chance haben wir immer, so lange wir noch leben, Kelly.«
»Wirklich?«
»Ja, das ist mein Ernst.«
»Das habe ich auch mal gedacht. Je mehr Zeit verging, um so kleiner wurde die Flamme der Hoffnung.« Sie bewegte mühsam ihre Arme, und die Glieder der Ketten klirrten gegeneinander, was sich wie eine
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