1036 - Die Psychonauten-Hexe
Augen verdreht, das Gesicht blutig und verzerrt.
Ich holte Handschellen hervor und legte sie ihm an. Bei einem Menschen wie ihm mußte ich einfach auf Nummer Sicher gehen. Er durfte keine Gelegenheit bekommen, zu verschwinden.
Bill hatte sich um seine Waffe gekümmert. Hotelangestellte unterstützten das Personal einer privaten Sicherheitstruppe und sorgten dafür, daß keine Fotografen an den Schauplatz des Geschehens herankamen. Die Reporter schossen trotzdem Fotos, als ginge es darum, einen Weltmeistertitel zu erringen. Vielleicht brachte der Zufall ja das eine oder andere Bild, mit dem sich ein kleines Vermögen verdienen ließ.
Zum Glück wurden der Killer und ich vom Kleiderständer gut genug geschützt. Bill hatte sich mit der MPi ebenfalls in diese Deckung zurückgezogen.
Ich ließ den Killer liegen und erhob mich. In meiner Nähe rannte ein kreischendes Etwas halbnackt in Richtung Laufstegtreppe und brach dort zusammen.
Auf einmal war auch Sheila da. Kreidebleich im Gesicht schaute sie uns an. Aber sie wirkte erleichtert, als sie sah, daß uns nichts passiert war. Das Handy zwischen ihren Fingern zitterte. »Ich habe die Polizei angerufen.«
»Sehr gut«, lobte Bill seine Frau, bevor er sie in den Arm nahm.
Die MPi übergab er mir.
Natürlich hatte keine Ruhe einkehren können. Aber es war nicht mehr so schlimm wie noch vor kurzem. Die große Panik war vorüber. An der Tür tauchten die ersten Uniformierten auf. Sie wurden von Roy Ralston abgefangen, der hektisch mit ihnen sprach und ebenso hektisch in unsere Richtung deutete.
Bevor die Kollegen irgend etwas Falsches unternahmen, was verständlich gewesen wäre, hielt ich ihnen meine ausgestreckte Hand mit dem Ausweis entgegen und rief ein paar Mal laut: »Scotland Yard.«
Das reichte. Sie wurden ruhiger, blieben allerdings mißtrauisch, bis ich erkannt wurde, und plötzlich hatten wir Ruhe. Die Kollegen schufen eine Insel. Sie drängten Neugierige weg, sie schlossen die Tür, und es blieben nur die wichtigen Personen zurück.
Bill hatte telefoniert und grinste verbissen, als er Sheila das Handy zurückgab. Dann wandte er sich an mich. »Ich habe die Mord-Kommission angerufen. Die Truppe wird bald hier sein. Tanner ist übrigens ihr Chef.«
»Gut, sehr gut.« Chief Inspektor Tanner war ein alter Freund von uns. Ein grimmiger Typ, dessen Markenzeichen ein alter Hut war, den er praktisch nie abnahm. Am Sitz seines Hutes konnte auch sein Seelenzustand abgelesen werden. Saß er normal auf dem Kopf, war alles okay. Rammte er ihn nach hinten, war Tanner sauer, und wahrscheinlich würde er ihn heute im Nacken sitzen haben.
Ich ließ Bill und Sheila zurück. Mein Weg führte mich wieder zurück auf den Laufsteg, der zum Tatort geworden war. Als Model fühlte ich mich bestimmt nicht, als ich die Strecke ging, die normalerweise den Mannequins vorbehalten blieb.
Es gab keine Zuschauer mehr. Vor mir lag der menschenleere Hotelsalon. Einige Bänke waren umgekippt, und auch Stühle lagen am Boden. Wer hier zugeschaut hatte, der hatte den Ort des Todes fluchtartig verlassen.
Es war nicht still. Nur kam es mir so vor, als ich auf das tote Model zuging. Tessa Hampton war nicht alt geworden, gerade mal 22, und jetzt lag sie mitten auf dem catwalk, der für sie alles bedeutet hatte und nun zum Ort des Sterbens geworden war.
Einen halben Schritt von der Leiche entfernt blieb ich stehen. Die Luft war kalt geworden. Das Licht der Scheinwerfer erinnerte mich mehr an Eisstrahlen. Ich glaubte, einen Kloß in der Kehle zu haben.
Er war einfach nicht wegzuwürgen.
Staubteilchen umschwirrten mich, verursachten einen Niesreiz, den ich auch nicht unterdrückte. Neben der Toten ging ich in die Knie. Ich wollte sie genauer untersuchen, ohne etwas zu verändern.
Dabei kam es mir nicht so sehr auf ihren Körper an, das Gesicht war wichtiger, und besonders die Stirn.
Dort hatte nicht nur ich das dritte Auge gesehen. Es war vorhanden gewesen, und ich hoffte, noch einen Rest sehen zu können.
Die Kugeln hatten Tessa zu Boden geschleudert, und sie war dabei zur Seite gefallen. Ihre Beine hingen über den Rand hinweg, zogen sie aber nicht vom Laufsteg.
Das Gesicht zeigte bereits die Totenstarre. Ich sah die Wunden, ich sah das Blut. Ich sah ihre Stirn, die den Namen nicht mehr verdiente, aber nichts war von einem dritten Auge zurückgeblieben. Die Kugeln des Killers hatten es zerstört.
Hatte Tessa wirklich nur sterben müssen, weil sie eine Psychonautin gewesen war? Wenn
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