1036 - Die Psychonauten-Hexe
Aussagen des Killers. Er ist zudem nicht so schwer verletzt, als daß er nicht reden könnte. Das wird sich alles noch zeigen. Zunächst stehen wir am Anfang.«
»Wo soll der Mann denn verhört werden?«
»Ich werde veranlassen, daß er zum Yard geschafft wird.«
»Gut, dann bin ich dabei.«
Bill gehörte zwar nicht zu den Kollegen, doch seinen Wunsch konnte ich ihm nicht abschlagen.
Ich leerte mein Glas.
Der Whisky war edel. Daß er mir nicht schmeckte, lag nicht an ihm, sondern an mir, denn vor meinen Augen wollte das Bild des toten Models einfach nicht weichen…
***
In den restlichen Stunden der Nacht war nichts mehr passiert. Trotzdem hatten Dagmar Hansen und Harry Stahl kaum schlafen können. Beide hatten im Bett gelegen, sich an den Händen gehalten und waren immer wieder auf das eine Thema zu sprechen gekommen.
Bei Dagmar hatte sich keine Veränderung gezeigt, ihre Stirn war glatt und normal geblieben. Trotzdem hatte die Unruhe sie nicht schlafen lassen. Beide gingen davon aus, daß es ein Anfang war, und Dagmar kam einfach nicht darüber hinweg, daß sie praktisch nicht aus freien Stücken nach Oberstdorf gefahren war. Es war ihr so vorgekommen, als hätte man sie praktisch hergeholt, und dieses Gefühl hatte sich noch verstärkt.
Irgendwann, die vierte Morgenstunde war schon angebrochen, schreckte sie plötzlich hoch. »Ich hab’s«, flüsterte sie. »Ich weiß jetzt Bescheid, Harry!«
»Wie… was?« Stahl war etwas durcheinander, denn er hatte in einem Halbschlaf gelegen.
Dagmar schlug mit der Hand auf die Bettdecke. »Meiner Ansicht nach gibt es hier in der Nähe einen Ort, den wir unbedingt finden müssen, weil dort das Rätsel verborgen liegt.«
»Du denkst an die angebliche Hexe, die verbrannt wurde?«
»Ja, genau. Ich will den Ort finden.«
»Ihr Tod liegt verdammt lange zurück«, wandte Harry ein.
»Alles klar, Harry, das weiß ich selbst. Aber es gibt auch Leute, die sich mit der Geschichte dieses Ortes und dessen Umgebung beschäftigt haben, und sicherlich nicht nur mit der positiven, wenn du verstehst. Da müßten eigentlich alle Sünden der Vergangenheit aufgeschrieben worden sein. So jedenfalls sehe ich es, und ich glaube nicht, daß ich dabei falsch liege.«
Stahl war einigermaßen überzeugt. »Das ist zumindest eine Möglichkeit.«
Dagmar ließ sich zurücksinken. Als sie lag und Harry nach links schaute, entdeckte er trotz der schlechten Beleuchtung das Lächeln auf den Lippen seiner Partnerin. Für sie waren ihre Überlegungen der erste Schritt auf das neue Ziel.
»Dann könnten wir ja versuchen, noch einige Zeit zu schlafen, schlage ich vor.«
»Ja, das schon.«
»Aber der Urlaub ist vorbei, denke ich.«
Dagmar lachte leise. »Hat er bei uns jemals richtig funktioniert?«
Harry seufzte. »Nein, nicht direkt. Aber so wird es wenigstens nicht langweilig…«
Lange geschlafen hatten die beiden nicht. Gegen acht Uhr waren sie geduscht, hatten im Frühstücks-TV die Nachrichten mitbekommen und fühlten sich ein wenig wie gerädert.
Dagmar lehnte an der Tür zum Bad und strich dabei über ihre Stirn. »Ich könnte noch weiterschlafen«, erklärte sie.
»Das vergeht nach der dritten Tasse Kaffee.«
»Dabei wollte ich heute nur Tee trinken.« Sie strich über das Zopfmuster des hellblauen Pullovers hinweg, den sie zur weißen Jeans trug. Den Bügel der Sonnenbrille hatte sie im Ausschnitt des Pullovers festgeklemmt, und ihre Füße steckten in bequemen, halbhohen, ebenfalls hellblauen Wildlederschuhen.
Harry schloß die Tür auf. Er ließ seiner Freundin den Vortritt. Auf der Schwelle gähnte Dagmar noch einmal und schimpfte über sich selbst. Die beiden hätten den Fahrstuhl nehmen können, liefen aber die beiden Treppen hinab und streiften dabei dicht an der mit Rauputz bedeckten Wand entlang. In den restlichen Stunden der Nacht war nichts mehr passiert. Keine bösen Träume, kein Auge, das auf Dagmars Stirn geleuchtet hätte. Eine gewisse Ruhe vor dem Sturm, den Harry, so hoffte er zumindest, unter Kontrolle halten konnte.
Sein Gefühl sprach dagegen. Er verglich sich mit jemand, der die Hand in die Nähe des Feuers gehalten hatte, die Wärme zwar spürte, sich aber noch nicht verbrannt hatte. Das würde noch kommen, je länger die Flammen loderten, und auch ihre Hitze würde zunehmen.
Innerhalb des kleinen Hotels herrschte vom Design her nicht nur eine freundliche Atmosphäre – alle Räume waren sehr licht gestaltet worden, da sie vom Raum her schon beengt
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