1038 - Der Seelen-Kerker
wohnen.«
»Wer lebt denn hier, wenn ich mal neugierig sein darf?« erkundigte ich mich.
»Ein alter Bekannter.«
»Templer?«
»Nein, John, nicht alle meine Bekannten gehören zum Orden. Er ist ein Kunsthistoriker, der sich allerdings sehr mit der Kirchengeschichte beschäftigt hat. Im Augenblick hält er sich im Ausland auf und hat mir sein Haus überlassen. Es ist auch besser, daß wir uns in Paris treffen.«
»Wenn du das sagst.«
»Klar. Aber etwas anderes. Ihr habt eine Reise hinter euch. Kann ich euch etwas anbieten?«
»Nein.«
Der Abbé lächelte uns zu. »Auch keinen Kaffee? Ich habe ihn frisch gekocht und auch an dich gedacht, Suko.«
»Bei Tee sage ich nie nein«, erklärte der Inspektor, und ich stimmte ihm zu, was den Kaffee anging.
»Dann kommt bitte mit und nehmt Platz. Ich werde alles bringen, nur etwas Geduld.«
Der Abbé wollte sich von uns nicht helfen lassen, und so folgten wir ihm in einen mehr langen als breiten Raum, in dem ebenfalls dunkle Möbel standen. Sogar die Glotze besaß ein dunkles Holzgehäuse. Der Bildschirm malte sich in hellem Grau ab.
Eine aus dunklem Leder bestehende Sitzgruppe war so aufgebaut worden, daß wir, wenn wir die Plätze eingenommen hatten, auf den Fernseher schauen konnten, und das war auch im Sinn der Sache, wie der Abbé erklärte, bevor er uns allein ließ.
Die Sitzflächen der Sessel waren recht hart. Wir sanken nicht tief ein und konnten unsere Arme auf die hohen Lehnen ausgestreckt hinlegen. Zwischen uns stand ein mit Kaffeetassen gedeckter Tisch.
Auch die Tasse für den Tee war bereitgestellt worden. Sie bestand aus hauchdünnem Porzellan. Dem Dekor nach zu urteilen, schien sie aus Limoges zu stammen, wie auch die beiden Kaffeetassen.
Der Abbé kehrte mit zwei Kannen zurück. »Na, habt ihr es euch bequem gemacht?«
»Wie du siehst«, sagte ich und war dagegen, daß er uns Kaffee und Tee einschenkte. Das wollte ich übernehmen, wogegen der Templer nichts einzuwenden hatte.
Der Tee war bereits durchgezogen und auch der Kaffee dampfte heiß in den Tassen. Im rechten der drei Sessel nahm Freund Bloch Platz und wirkte sehr zufrieden, denn auf seinen Lippen lag ein Lächeln.
Durch die drei hohen Fenster an der rechten Seite des Raumes drang nur wenig Licht. Auch deshalb, weil der Abbé die Scheiben durch Vorhänge abgedeckt hatte. Es mußte seinen Grund haben, wenn er die Sonne ausschloß, und es hing sicherlich mit dem Videofilm zusammen, den Bloch uns vorführen wollte.
Die Fernbedienung lag griffbereit. Er legte auch seine Hand darauf, aber er benutzte sie noch nicht und wartete ab, bis wir getrunken hatten.
Suko kam mir mit seiner Frage zuvor. »Bitte, worum geht es eigentlich? Du hast uns am Telefon nicht viel gesagt.«
»Das stimmt.«
»Gab es Gründe?«
Er hob die Schultern. »Meiner Ansicht nach schon. Ich wollte euch nicht voreingenommen herkommen lassen. Ihr sollt euch den Film anschauen und dann eure Meinung sagen.«
»Und der Streifen ist echt?« hakte Suko nach. »Dafür verbürgst du dich?«
»Ja.«
»Willst du uns nicht im Groben sagen, um was es geht?« sprach ich den Abbé an, der die Fernbedienung jetzt in der Hand hielt und auf den Bildschirm zeigte.
Bloch lächelte. »Ich kenne ja eure Ungeduld. Gut, ich will euch nicht im unklaren lassen. Es geht um die Vergangenheit und auch um die Gegenwart, wobei meine Erklärungen sich zunächst einmal mit der Vergangenheit beschäftigen. Da habe ich mir ein bestimmtes, nicht sehr ruhmreiches Gebiet der katholischen Kirche ausgesucht.«
»Die Inquisition?« fragte ich.
»Genau.«
»Tja, dann leg mal los.« Ich ahnte, nein, ich wußte, daß wir wieder mit einer der zahlreichen Greueltaten aus dieser Zeit konfrontiert werden würden. Manche von ihnen reichten bis hinein in die Gegenwart, das hatten wir schon des öfteren erlebt.
Die Frage des Abbé unterbrach meine Gedanken. »Ist euch der Namen Bernard Gui ein Begriff?«
Suko und ich schauten uns an. Mein Freund hob nur die Schultern.
»Es ist nicht meine geschichtliche Vergangenheit, John.«
Da hatte er recht. Bloch ließ mir Zeit zum Nachdenken. Ich strengte mich auch an und gelangte zu dem Schluß, daß dieser Bernard Gui ein Inquisitor gewesen sein mußte.
»Das trifft genau zu, John.«
»Wunderbar. Und wie geht es weiter?«
»Nicht so schnell. Ich möchte euch etwas über diesen Gui erzählen. Er wurde im Jahr 1261 oder 1262 geboren. Im Alter von achtzehn Jahren trat er dem Orden der Dominikaner in Limoges bei. Er
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