1038 - Der Seelen-Kerker
das Päckchen aus der Innentasche seiner Jacke hervorholte. Er hob die Klappe des Briefkastens an und ließ das Päckchen verschwinden.
Für einen Moment mußte er sich gegen die nahe Hauswand lehnen. Capus fühlte sich erleichtert, obwohl sein Herz noch immer stark klopfte. Er sah die beiden Farbigen, die mit tänzelnden Schritten an ihm vorbeigingen. Auf dem Kopf trugen sie Wollmützen, die sie tief in die Stirn gezogen hatten.
Dann war er wieder allein. An den Seiten der schmalen Straße war der Bürgersteig bis über die Hälfte durch abgestellte Autos zugeparkt worden. Auf den Fenstern und dem Blech lag bereits eine dünne Eisschicht. Es gab in dieser Nacht also den ersten Frost.
In einer Kneipe war es wärmer als in seiner leeren Wohnung. Capus dachte darüber nach, ob er sich noch einen Schluck gönnen sollte. Vielleicht auch nur einen starken Kaffee, doch er entschied sich dagegen. Es gab dort kein Bett wie in seiner Wohnung, und das lockte ihn plötzlich, obgleich er dann wieder mit seinen Gedanken allein war.
Es ging bereits stark auf die zweite Morgenstunde zu, als er die Wohnungstür aufdrückte und mit etwas vorsichtigen Schritten den Raum betrat. Er blickte sich um wie ein Mensch, der darauf wartete, daß sich in dem dunklen Zimmer jemand versteckt hielt, aber die Schatten waren normal, auch wenn sie sich verzerrt zeigten, besonders unter den Gaubenfenstern, durch die schwaches Nachtlicht sickerte.
Capus schloß die Tür von innen ab. Zweimal drehte er den Schlüssel herum.
Er machte kein Licht, als er seine Jacke abstreifte und die Schuhe auszog. Mit Pullover und Hose bekleidet, legte er sich rücklings auf das Bett. Mit dem Hinterkopf lag er auf seinen verschränkten Händen, schaute aber nicht zur Decke, sondern auf das Fenster in seiner Nähe. Weit darüber zeichnete sich der Himmel ab. Eine graue Fläche mit wenigen Wolken und glitzernden Sternen.
Eigentlich kann ich zufrieden sein, dachte Alexandre Capus. Er hatte das Päckchen abgeschickt und einiges in die Wege geleitet.
Warum bin ich es nicht? fragte er sich dann. Warum habe ich die Angst nicht besiegen können?
Zumindest war er so weit gekommen, daß er darüber nachdenken konnte, was er schon als einen Vorteil ansah. Wenn er es richtig betrachtete, dann hatte er durch das Auffinden des Kerkers etwas erweckt, das lieber tief in der Erde hätte verborgen bleiben müssen.
Etwas Grauenvolles, Schauriges war aus dem Schoß der Erde zurückgekommen, um ihn zu jagen.
Jagen!
Genau das war der richtige Ausdruck. Er konnte sich vorstellen, daß die Ausgeburt der Hölle unterwegs war, um ihn zu finden. Es würde dauern, bis sie ihr Ziel erreicht hatte, aber es war mittlerweile auch genügend Zeit verstrichen. Dieses Monstrum hätte es schaffen können, wie auch immer.
Dieser Gedanke ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Er quälte ihn, er machte ihn fertig und sorgte dafür, daß er sich immer wieder auf seinem Bett hin- und herwälzte.
Einer konnte ihm helfen, der Abbé.
Er würde sich den Film anschauen, und er würde die richtigen Schlüsse daraus ziehen.
Hoffentlich…
***
Suko und ich waren nach Paris geflogen, um einen alten Freund zu treffen. Abbé Bloch, den Anführer der Templer, der eigentlich mit seinen Leuten weit im Süden lebte, aber es für besser gehalten hatte, daß wir nach Paris kamen.
Auf ein Hotel konnten wir dabei verzichten. Der Abbé hatte uns in das Haus eines Freundes eingeladen, das leer stand und im östlichen Teil dieser Metropole zu finden war, nicht weit vom Bois de Boulogne entfernt.
Wir hatten eine der Morgenmaschinen genommen und waren noch vor dem Mittag gelandet.
Die Stadt wurde vom Sonnenlicht gebadet. Trotzdem war es ein kalter Tag, und der Atem dampfte dabei vor unseren Lippen. Wir hatten uns ein Taxi besorgt und rechneten damit, daß die Fahrt zum Ziel länger als der Flug dauern würde. Über den Autoverkehr in Paris war schließlich genug geschrieben worden.
Auch diesmal bekamen wir es bestätigt. Es waren sicherlich nicht alles Einheimische auf den Straßen. Frankreichs Metropole zieht Touristen zu jeder Jahreszeit an, aber auch Geschäftsleute, die hier zu tun haben.
Der Fahrer war ein Farbiger, der Musik im Blut hatte, wie man so schön sagt. Ein Radio brauchten wir nicht. Wir hörten ihm als Sänger zu, und die vielen Staus machten ihm nicht die Bohne. Seine gute Laune verlor er nicht.
Worum es ging, wußten wir selbst nicht so genau. Da hatte sich der Abbé bei seinem Anruf ziemlich
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