1040 - Madonna auf dem Höllenthron
erst später beginnen. Jetzt ging es um andere Dinge, denn ich mußte wissen, ob es innerhalb des Bildes ein bestimmtes »Leben« steckte.
Schließlich hatte jemand meinen Namen gerufen, und das war sicherlich nicht der komische Vampir gewesen und auch nicht Julias Chef, sondern eine völlig andere Person.
Ich ging davon aus, daß es die Blutsaugerin gewesen war. Aus irgendeinem Grund mußte sie erwacht sein. Es konnte an Julia Ross gelegen haben, sicher war ich mir nicht.
Ich beugte mich über das Gemälde. Der Knochenthron, auf dem diese Madonna hockte, interessierte mich im Augenblick nicht. Sie selbst war die vorrangige Person, und ich wollte auch herausfinden, ob sich unter dem normalen Gesicht eine Vampirfratze befand.
Mochte Julia dem Gemälde auch mit einer ihrer Spachteln oder Messer zu Leibe gerückt sein, ich nahm die Hände und strich mit den Fingerkuppen der rechten Hand sanft von den Knien her am Körper hoch. Ich berührte den Leib, dann die Brüste und suchte nach einer Veränderung. Das konnte eine leichte Bewegung unter der Farbe sein, aber auch eine gewisse Wärme der Kälte.
Diese Person lebte auf ihre Art und Weise. Das mußte ich unter allen Umständen herausfinden.
Zwei Vampirzähne lagen frei. Weder sie noch die Lippen bewegten sich.
Doch aus dem Mund war altes, rostig aussehendes Blut getropft und hatte seine Spuren am Kinn hinterlassen. Also mußte diese Person mit altem Blut gefüllt sein. Eine andere Möglichkeit wollte ich zu diesem Zeitpunkt nicht akzeptieren.
Ich erreichte das Kinn.
Meine Finger kamen zur Ruhe.
Nichts tat sich.
Kein Zucken der Haut, keine Bewegung der Lippen. Es war ein Bild, und es blieb ein Bild.
Von der rechten Seite her schaute mir Julia zu. Ihr Blick war starr, die Augen groß. Die zu Fäusten geballten Hände hielt sie gegen ihr Kinn gepreßt.
Sie konnte sich nicht mehr zurückhalten. »So weit war ich auch«, flüsterte sie. »Dann ist es passiert.«
»Mal sehen, was jetzt folgt.« Ich war sehr ruhig. Mit den Kuppen der beiden Zeigefinger malte ich den freigelegten, neuen, alten und zugleich echten Mund nach. Er war viel breiter, und er paßte wirklich besser zu diesem Gesicht.
Es war nichts zu spüren. Ich schaffte es auch nicht, einen Finger in die Mundöffnung zu stecken, obwohl aus ihr schließlich das Blut getropft war.
Kein Loch, keine Öffnung. Nicht die geringste Veränderung zur normalen Leinwand.
Das war schon seltsam.
Julia hatte ebenfalls bemerkt, wie überrascht ich war, und sie sagte:
»Genau dort ist das Blut hervorgequollen. Ich… ich… packe es noch immer nicht, John.«
»Keine Sorge, wir werden sehen.«
»Ihre Geduld möchte ich haben.«
»In Ihrem Beruf brauchen Sie die gleiche Ruhe.«
»Aber nicht heute.«
Es war gut, daß durch unser Gespräch die Atmosphäre etwas aufgelockert worden war. Suchend und tastend glitten meine Fingerkuppen weiter. Wie ein Hauch fuhren sie über das Gemalte hinweg und näherten sich den Oberlippen.
Wieder ein sehr wichtiger Punkt, denn aus ihr wuchsen praktisch die beiden Zähne hervor, deren Enden so spitz aussahen, letztendlich jedoch nur gemalt waren.
Auch ich war gespannt. Die kleinen Schweißtropfen auf der Stirn stammten nicht von der Wärme des Lichts. Ich war einfach aufgeregt, denn ein derartiges Bild hatte ich noch nie erlebt. Gut, des öfteren schon hatte ich mit magischen Gemälden zu tun gehabt, auch welche, die plötzlich lebten, aber das hier war etwas anderes. Schon vom Motiv her, da brauchte ich nur an den Knochensessel zu denken und auch daran, daß eine Stimme meinen Namen geflüstert hatte.
Ich berührte die Zähne - und spürte sie nicht. Keine Spitzen, die an meiner Haut zerrten oder sich in diesen dünnen Film festhaken wollten.
Es war und blieb normal, eben eine gemalte Szene, zweiund nicht dreidimensional.
Nach diesem Versuch schloß ich für einen Moment die Augen. Neue Konzentration. Neben mir atmete Julia Ross scharf durch die Nase. Sie sprach auch leise mit sich selbst. Nur konnte ich die Worte nicht verstehen.
Dafür kümmerte ich mich um den aus Gebein bestehenden Sessel.
Vielleicht gab es hier eine Chance. Der echte Knochensessel war magisch aufgeladen. Er ermöglichte mir Zeitreisen und war unter anderem das Tor zu Avalon.
Nicht dieser hier.
Ich war schon etwas enttäuscht, daß sich nichts tat und ich auch nichts spürte. Ich tastete ihn schneller ab als das Gesicht der Blutsaugerin und richtete mich dann wieder auf.
»Sind Sie mit Ihrer Latein
Weitere Kostenlose Bücher