1040 - Madonna auf dem Höllenthron
schloß ich die Tür. »Das weiß ich, Julia, und deshalb bin ich auch gekommen.«
»Darüber bin ich froh.«
Ich ging vor und zugleich an ihr vorbei. Sehr schnell schaute ich mich um. Julia war keine Malerin, sondern Restauratorin, auch wenn beide Berufe zu den künstlerischen zählten. Deshalb war diese Umgebung kein Atelier, sondern glich mehr einer Werkstatt, auch wenn ich Töpfe mit Farben sah, aus denen Pinselgriffe hervorschauten.
Ein Schemel, ein alter Schrank, die beiden hochliegenden Fenster, das Werkzeug, das Julia für ihre Arbeit benötigte, all das bildete so etwas wie einen Rahmen für das eigentliche Zentrum dieser Werkstatt. Es war ein Arbeitstisch mit leicht schräger Platte. An beiden Seiten waren Lampen festgeschraubt, die ihr Licht auf einer von Rahmen befreiten Leinwand verteilten. Das gute Stück selbst war auf der Arbeitsplatte befestigt worden, damit es, um Himmels willen, keine Falten warf.
Noch konnte ich das Bild nicht so deutlich sehen, da ich ziemlich entfernt davon stand. Julia hielt sich dicht neben mir auf. Unsere Arme berührten sich, und ich spürte ihr leichtes Zittern.
»Ist es das?« fragte ich.
Sie nickte zweimal. »Madonna auf dem Höllenthron. Ein irrer Titel, aber er kommt irgendwie hin.«
»Das denke ich auch. Der Künstler wird sich etwas dabei gedacht haben. Kennen Sie ihn?«
»Nein. Das ist komisch. Das Bild ist nicht signiert. Mein Chef, George Scott, hat es als wertvoll eingestuft, auch wegen der Einmaligkeit des Motivs. Aber schauen Sie es sich selbst an, John, dann werden Sie feststellen, daß ich nicht übertrieben habe.«
»Gern.«
Sie hatte mir während des Anrufs das Motiv kurz beschrieben. Und sie war auf mich gekommen, weil mein Name von einer geheimnisvollen Flüsterstimme gerufen worden war. Sie hatte keinen Menschen gesehen, und die Stimme mußte wie von einem Geist gekommen sein.
Oder aus dem Bild.
Ich blieb davor stehen.
Ja, es stimmte. Aus dem Mund der Vampirin war tatsächlich Blut gequollen. Es hatte sich als zwei zittrige Streifen auf dem Kinn ausbreiten können, und dieses rostrote Blut war nicht gemalt worden, das hatte ich mit einem Blick gesehen.
Trotzdem wollte ich es genau wissen und tupfte meine rechte Zeigefingerspitze dagegen.
Die Flüssigkeit blieb kleben.
Das hatte auch Julia Ross mitbekommen, und sie nickte mir von der Seite her zu. »Sehen Sie, John, es ist Blut. Ich… ich… habe Sie nicht angelogen.«
»Das habe ich auch nicht angenommen.«
»Und was wollen Sie tun?«
»Noch nichts. Lassen Sie mir bitte Zeit, das Bild genauer zu betrachten.«
»Natürlich, Entschuldigung.«
Obwohl mich die Vampirfrau interessierte, nahm ich zuerst den Mönch in Augenschein. Er war nur zur Hälfte zu sehen. Wichtig war dabei sein Gesicht. Umrahmt von einem sehr hellen Bart, der bis hoch zu seinem Kopf reichte. Der Mönch besaß ein rundes Gesicht, in dem sich einige Falten abzeichneten. Dunkle Augen schauten den Betrachter sehr ernst und auch warnend an, als mahnten sie vor der Person zur Vorsicht, die hinter ihm gemalt worden war.
Da saß Madonna auf ihrem Höllenthron. Stufen führten hoch. Zum Teil waren sie von einem Raubtierfell bedeckt, das auch auf der Sitzfläche des Throns lag.
Ich hatte mich innerlich auf die Frau vorbereitet, aber nicht auf den Thron. Plötzlich war diese Madonna für mich uninteressant geworden, denn jetzt sah ich nur das aus Gebeinen hergestellte Gestell, an dessen Rückenlehne sogar noch ein Totenschädel in die Höhe ragte.
Das durfte nicht wahr sein. Ich merkte den leichten Schwindel, ausgelöst durch eine Überraschung.
Einen derartigen Thron, Sessel oder Stuhl kannte ich. Des öfteren hatte ich darauf gesessen. Es war der berühmte Knochensessel, der bei meinen Templer-Freunden in Südfrankreich stand.
Und dieser hier glich dem Knochenthron fast aufs Haar!
***
»Was haben Sie, John? Ist Ihnen nicht gut? Himmel, Sie sind plötzlich so blaß geworden? Das kann ich verstehen. Auch ich war geschockt, als ich diesen Vampirmund freilegte…«
»Keine Sorge, Julia, das ist es nicht.«
»Was dann?«
»Der Thron aus Knochen.«
»O ja!« rief sie. »Der Thron aus Knochen. Sie glauben nicht, wie sehr mich sein Anblick erschreckt hat. Ich… ich… konnte es nicht fassen. So etwas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Das war einfach ein Schock.«
»Für mich auch.«
»Aber er lebt nicht, meine ich mal. Nicht so, wie diese verdammte Person, aus deren Mund Blut geflossen ist. Der Thron besteht
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