1041 - Das Orakel
würden.
„Wie stellst du dir das vor?" erkundigte er sich.
„In wenigen Minuten wird hier ein Abgesandter der Bruderschaft eintreffen, um mit uns zu beraten", sagte sie.
Seine Augen weiteten sich.
„Ein Abgesandter der Bruderschaft", wiederholte er fassungslos. „Um mit uns zu beraten!"
Ihr wölfisches Gesicht mit den tief darin eingegerbten Falten verzog sich zu einem knappen Lächeln und verriet etwas von der inneren Standfestigkeit dieser Frau. Aber es war auch ein listiges Lächeln.
„Der Wind hat sich gedreht, Chyrino", sagte sie. „Und du solltest es eigentlich gespürt haben. Die Idee, Kran solle sich vom Orakel unabhängig machen, ist längst nicht nur mehr eine Propagandaparole der Bruderschaft."
Der Raumfahrer nickte grimmig.
„Ich weiß", bestätigte er. „Überall auf Kran kommen die Mitglieder der Bruderschaft aus ihren Löchern, um offiziell ihre Ideen zu vertreten."
Syskal sah ihn offen an: „Alles läuft sich einmal tot. Unbewußt haben wir alle darunter gelitten, daß Fremde die intimsten Diener des Orakels waren und daß wir nicht wissen, wer oder was dieses Orakel eigentlich ist. Das Unbehagen hat sich in erster Linie in den Parolen der Bruderschaft artikuliert. Um ehrlich zu sein: Einige dieser Parolen sind einer näheren Betrachtung wert; ich könnte mich damit identifizieren."
„Deshalb also ein Gespräch mit einem Abgesandten der Bruderschaft?"
„Nicht nur deshalb, Kommandant! Wir müssen uns den Rücken freihalten. Wenn wir anstelle der Herzöge das Kommando übernehmen müssen, kommt eine unvorstellbare Arbeit auf uns zu. Deshalb muß uns die Bruderschaft unterstützen. Zumindest muß sie uns stillschweigend gewähren lassen."
„Und das Orakel?" fragte Chyrino zweifelnd. „Wie wird es reagieren?"
„Wenn das Orakel nur halb so klug und vorausschauend ist, wie es in all den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen hat, wird es die Lage richtig einschätzen und sich entsprechend verhalten. Zunächst einmal müssen wir jedoch demonstrieren, daß wir den Lauf der Ereignisse diktieren."
„Woran denkst du?"
„Wir werden dreihundert schwere Raumschiffe über dem Dallos massieren. Ihre Geschützmündungen werden auf das Spoodie-Schiff gerichtet sein", sagte sie fest.
Sein Gesicht verfärbte sich.
Bevor er etwas einwenden konnte, fuhr sie fort: „Soweit darf es nie wieder kommen, daß Kranen auf ihrer Heimatwelt beschossen werden - und sei es auch nur über ihre Köpfe hinweg."
„Es könnte zu einem Gefecht kommen!"
„Angesichts von dreihundert kranischen Raumern wird an Bord des Spoodie-Schiff sniemand so verrückt sein, auch nur einen Schuß abzugeben."
Chyrino begriff, daß nicht Syskal und er an die Stelle der Herzöge getreten war, sondern Syskal ganz allein. Er war nicht besonders unglücklich darüber.
Ein Tart in der blauen Uniform der kranischen Schutzgarde trat herein. Es war bildhaft für die augenblickliche Situation, daß er seine Waffe offen und entsichert trug.
„Der Abgesandte der Bruderschaft ist eingetroffen", sagte er.
„Einen Augenblick noch", bestimmte Syskal und schickte den Gardisten wieder hinaus.
Dann wandte sie sich an den Raumhafenkommandanten.
„Wir müssen versuchen, mit den eigentlichen Anführern der Bruderschaft ins Gespräch zu kommen, die bisher immer im Hintergrund geblieben sind. Ich muß herausfinden, was sie im Sinn haben. Manchmal habe ich den Verdacht, daß sie noch ganz andere Ziele verfolgen als jene, mit denen sie bei ihren Mitgliedern Politik machen."
„Du glaubst nicht, daß wir nun mit einem ihrer Anführer sprechen?"
Sie schüttelte den Kopf.
„Laß mich reden", schlug sie vor. „Konzentriere dich auf jedes Wort, das der Bursche sagt. Vielleicht entdecken wir einen Hinweis."
Sie ließ den Abgesandten hereinrufen. Es war ein mittelgroßer, unscheinbar wirkender Krane. Er grüßte die beiden prominenten Bürger Krans mit einer Mischung aus Scheu und gerade gewonnener Überheblichkeit.
„Ich bin Zurdyn", stellte er sich vor. „Ich bin beauftragt, die Wünsche der Bruderschaft vorzutragen."
Syskal musterte ihn lange und schweigend, bis er sich unter ihren Blicken regelrecht zu winden begann. Chyrino genoß das Schauspiel. Seine Bewunderung für Syskal wuchs.
Schließlich fragte die Chefin der Schutzgarde spöttisch: „Bist du überhaupt kompetent, diese Wünsche zu vertreten?"
Zornesröte überzog das Gesicht des Besuchers.
„Sonst wäre ich wohl kaum hier!"
„Bist du einer eurer
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