1041 - Das Orakel
einziges Tor, auf der Seite, wo die SOL nun auf ihren Antigravpolstern ruhte und die genau zum Nordpol des Planeten wies. Gemessen an der Größe des Bauwerks wirkte dieser Eingang winzig, obwohl er fünfzig Meter breit und achtzig Meter hoch war. Tanwalzen hatte bei dem Rückzug der Orakeldiener beobachtet, daß es von zwei gewaltigen stählernen Flügeln geschlossen wurde.
„Interessant, nicht wahr?" drang Tomasons Stimme in seine Gedanken.
Er blickte auf und sah den kranischen Riesen verhalten lächeln.
„Was mag sich erst hinter diesen Mauern verbergen - tief im Innern?" fragte Tomason.
„Viele Jahrzehnte lang war dieses Gebäude das Zentrum der kranischen Zivilisation."
„Du sagst das so, als hätte sich das jetzt geändert!"
Der Krane strich sich über die Mähne.
„Ich habe ein Gefühl, als wäre eine Epoche unserer Entwicklung beendet. Eine neue Zeit beginnt."
„Immerhin weißt du, wohin du gehörst", meinte Tanwalzen mit einem Anflug von Bitterkeit.
„Du etwa nicht, High Sideryt? Hast du nicht auch eine Heimat?"
Tanwalzen machte eine alles umfassende Bewegung.
„Dieses Schiff", sagte er. „Aber was ist das schon?"
3.
Die Herzöge Carnuum und Gu hielten sich nicht zum erstenmal innerhalb des Wasserpalasts auf. Allerdings waren sie nie viel weiter als bis in diesen hallengroßen Vorraum, in dem sie sich auch jetzt zusammen mit einigen hundert aufgeregten Orakeldienern befanden, vorgedrungen. Das Orakel selbst hatten sie niemals zu Gesicht bekommen.
Carnuum schaute sich um und versuchte, seine innere Ruhe zurückzufinden. Gus unerwarteter Auftritt hatte ihn aufgewühlt. Inzwischen sah er ein, daß der Anschlag gegen Gu ein unverzeihlicher Fehler gewesen war, und er wünschte, er hätte sich niemals dazu hinreißen lassen.
Gu lag etwas abseits auf einer Trage und atmete schwer. Seine Augen waren geschlossen, die Gesichtsfarbe unnatürlich hell. Fischer stand schweigend neben ihm, eine ebenso unheimliche wie zuverlässige Leibwache. Carnuum wußte, daß der Roboter Klaque getötet hatte.
Der Herzog senkte den Kopf.
Warum hatte es erst soweit kommen müssen?
Die Orakeldiener, die in der Mehrzahl ihre wallenden weißen Gewänder abgelegt hatten, hasteten an den beiden Herzögen vorbei, ohne sie besonderer Aufmerksamkeit zu würdigen. Die Männer und Frauen, die innerhalb des Wasserpalasts dem Orakel dienten, trugen jetzt nur noch ihre einfachen lindgrünen Uniformkombinationen, wie sie auch vom technischen Personal des Spoodie-Schiffs bevorzugt wurden.
Es gehörte kein großes Einfühlungsvermögen dazu, die Hektik dieser Wesen richtig zu deuten: Sie bereiteten sich für eine Verteidigung des Wasserpalasts und damit des Orakels vor. Carnuum staunte, als er die zum Teil fremdartigen Ausrüstungsgegenstände und Waffen sah, die von den Orakeldienern in der Nähe des Eingangs stationiert wurden.
Er fragte sich, welche technischen Schätze die Pyramide in ihrem Innern noch bergen mochte. Der Gedanke, das Orakel könnte sich auch gegen einen massiven Angriff von draußen schützen, erschien ihm mit einemmal nicht mehr abwegig.
Über seinen eigenen derzeitigen Status gab sich der Herzog keinen Illusionen hin - es war der eines Gefangenen!
Wie unter einem inneren Zwang trat Carnuum an die Trage und beugte sich zu Gu hinab. Lautlos glitt Fischer etwas näher heran, aber Carnuum machte eine beruhigende Geste.
„Es tut mir leid, was geschehen ist", murmelte er. „Ich habe nicht vor, noch einmal gegen Gu Gewalt anzuwenden."
Die für Fischer bestimmten Worte erreichten offenbar auch das Gehör des Schwerverletzten, denn er schlug die Augen auf und starrte Carnuum an. Der Haß, der in ihnen vor kurzem noch geflackert hatte, war völlig erloschen. Es war der Blick eines enttäuschten Kranen, der auf Carnuum ruhte.
„Verräter", röchelte Gu. „Wie kannst du es wagen, dich in meiner Nähe überhaupt noch sehen zu lassen?"
Der hagere Herzog zuckte zurück, sein weißer Pelz schien sich im Nacken zu sträuben.
Die silberne Beschichtung seiner Raumfahreruniform knirschte bei dieser heftigen Bewegung. Carnuum hatte sich dieses Kleidungsstück anfertigen lassen, weil er sich davon eine strahlenabweisende Wirkung erhoffte. Es war eine Marotte des Herzogs, an die Einwirkung verschiedener Strahlen auf seine Psyche zu glauben. Jetzt allerdings dachte er nicht daran.
„Du hast recht", sagte er düster. „Ich bin ein elender Mörder, aber ich bin nicht der Verräter, für den du mich
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