1043 - Engelkinder
denn so etwas hatte ich noch nicht erlebt. Viele hatten versucht, mein Kreuz zu manipulieren, den wenigsten war es gelungen, doch jetzt, in dieser Situation, war es manipuliert worden, und zwar durch Evita Munoz. Eine andere Möglichkeit kam für mich nicht in Betracht.
War sie tatsächlich in der Lage, mein Kreuz zu manipulieren und zu verändern?
Ich konnte und wollte es einfach nicht glauben. Aber die Tatsachen sprachen dafür. Was ich hier erlebte, war einmalig. Die Kraft der Erzengel war praktisch ausgeschaltet worden, und das konnte ich kaum fassen. So etwas gab es nicht oder hatte es in der Vergangenheit nicht gegeben. Wie oft war mein Kreuz durch dämonische Kräfte attackiert worden, und immer wieder hatte es die mächtigen Angriffe zurückgeschlagen. Bis heute.
Aber war es überhaupt angegriffen worden? Auch das bezweifelte ich, denn von einem Angriff einer finsteren Macht hatte ich hier nichts erlebt. Und doch war sie da. Nicht nur beweisbar durch die Levitation der Evita Munoz, jetzt auch durch die Manipulation meines Kreuzes. Ich folgerte daraus, daß Engel und Engelkinder zwei verschiedene Paar Schuhe waren. Das eine paßte nicht zum anderen. So harmlos sich der Name Engelkinder auch anhörte, diese Gruppe konnte durchaus auf der anderen Seite stehen, und sie war so mächtig, daß selbst mein Kreuz in einer gewissen Art und Weise vor ihnen kapitulierte.
Die Beschäftigung mit diesem Gedanken sorgte bei mir auch für eine Veränderung der Gänsehaut.
Mir wurde plötzlich eiskalt, und die Kälte schien sich von außen her in meinen Körper hineinzufressen, um ihn starr zu machen.
Mich hatten all die Gedanken innerhalb weniger Sekunden durchzuckt, und ich blickte jetzt wieder genauer auf die vier Zeichen, die aussahen, als wären sie verbrannt. Ihre Umrisse waren zu sehen, doch sie waren so verflucht kalt. Meine Daumenkuppe schien einen dünnen Film aus Eis zu bekommen, als ich mit ihr über den Buchstaben M hinwegstrich.
Ich riß mich von meinem Kreuz los und blickte auf, da ich mich wieder auf Evita konzentrieren wollte.
Sie schwebte noch immer über dem Bett. Ihr Gesicht zeigte nach wie vor den Zustand der Verklärung, als würde sie etwas Besonderes sehen, das anderen verborgen blieb. Ihre Gedankenwelt war abgetaucht, tief in eine andere Welt hineingeglitten, mit der ich noch nicht zurechtkam. Nur mein Kreuz hatte sie gespürt. Doch ich wußte, daß etwas aus den Urzeiten der Vergangenheit dabei war, seinen Weg in die Gegenwart zu finden - eine negative Engel-Mystik.
Ein seufzender Laut riß mich aus meinen Gedanken. Ich blickte hoch und erlebte, wie Evita Munoz allmählich wieder nach unten sank. Der Ausdruck in ihrem Gesicht hatte sich nicht verändert. Noch immer wirkte er so überirdisch weich. Da hatte sich der Ausdruck eines Engels mit dem eines Menschen gepaart.
Evita bekam wieder Kontakt mit dem Bett. Die Decke beulte sich ein, und sofort begann bei ihr die Veränderung. Das Gesicht nahm wieder seinen normalen Ausdruck an, der mich allerdings nicht interessierte, denn ich kümmerte mich um mein Kreuz.
Nein, es war kein Wunder, mehr eine logische Folge. Die Schwärze in den Buchstaben verschwand, als wäre sie weggeputzt worden. Das normale Silber drang wieder hervor und auch der normale Glanz, der für meine Beruhigung sorgte.
Ich legte das Kreuz auf mein rechtes Bein und deckte es mit der Handfläche ab. Dann kümmerte ich mich um Evita Munoz, die ihre Sitzhaltung nicht verändert hatte. Der Körper berührte das Bett, sie schaute geradeaus, sie bewegte ihre Augen, und sie lächelte plötzlich, als hätte sie etwas Schönes erlebt. Über ihre Stirn lief eine Schweißperle, die von der linken Braue gestoppt wurde.
»Du bist ja noch da, John.«
»Sicher«, gab ich leise zurück. »Hätte ich weglaufen sollen?«
»Weiß ich nicht.«
»Was weißt du denn?«
»Bitte?«
Ich mußte sehr behutsam vorgehen. Möglicherweise hatte sie nicht mitbekommen, was mit ihr geschehen war, und meine Frage stellte ich sehr langsam. »Weißt du, was mit dir in den letzten Minuten passiert ist, Evita? Kannst du mir das sagen?«
»Ja, klar, warum?«
»Tu es.«
»Wir haben uns unterhalten.«
»Stimmt. Und weiter?«
Das Mädchen überlegte und zog die Augenbrauen zusammen. »Was soll ich dazu sonst noch sagen. Ich habe dich gesehen, John, aber ich war auch so weit weg.«
»Erzähle das genauer!«
»Ich hörte so andere Stimmen. Helle Stimmen. Auch einen Gesang, aber nicht schön.«
»Gesehen
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