1048 - Blutende Schatten
er traute der Dunkelheit nicht.
Was, zum Henker, versteckte sich darin?
Etwas war da. Blitzschnell!
Sugar kam nicht einmal dazu, nachzudenken, es richtig zu registrieren, oder Luft zu holen, denn praktisch aus dem Nichts heraus hatte es ihn erwischt.
Das ANDERE schlug zu. An seiner Schulter entlang, wischte über seine linke Wange mit einer schnellen, rauhen und schließlich scharfen Bewegung, die bei ihm einen Schmerz hinterließ.
Sugar reagierte viel zu spät. Zwar schnellte sein Arm zur Seite, er griff auch zu, faßte jedoch ins Leere. Da war einfach nichts, was er hätte greifen können.
Für die Dauer dieses ›Angriffs‹ hatte er die Luft angehalten. Durch die Nase stieß er sie wieder aus und atmete durch den Mund ein. Er zitterte leicht, wagte ansonsten nicht, sich zu bewegen, und fragte sich nur, was mit ihm passiert war.
Da hatte es etwas gegeben. Dessen war er sich sicher. Dieser schattenhafte Angriff war keine Einbildung gewesen. Da hatte sich aus der tiefen Dunkelheit etwas gelöst und war über ihn gekommen.
So schnell, daß er nicht hatte reagieren können.
Die Tür stand noch immer offen. Das Licht der Taschenlampe blieb in der Küche. Für ihn war das die Realität. Er selbst kam sich vor wie in einem Traum gefangen.
Was war geschehen? Was konnte überhaupt geschehen sein? Er wußte es nicht. Es gab für ihn einfach keine normale Erklärung. Gut, er hatte schon immer das Gefühl gehabt, nicht allein im Haus zu sein, aber das konnte es nicht gewesen sein. Zwischen dem Gefühl und einer echten Wahrnehmung gab es doch einen Unterschied. Und es war jemand bei ihm gewesen, das stand fest.
Die Spannung ließ ihn allmählich los. Er fühlte und dachte auch wieder normal. Sugar suchte die Dunkelheit ab, die sehr dicht war.
Kein Schatten mehr. Aus der Küche hörte er ein Klirren, danach das Lachen seines Freundes. »Verdammt noch mal, der Stoff ist wirklich gut, bester Whisky.«
»Willst du dich besaufen?«
»Soweit lasse ich es nicht kommen. Bei dir alles okay?«
»Ja.« Sugar wußte genau, daß er gelogen hatte, denn für ihn war nichts okay. Ewig konnte er auch nicht in der Diele stehenbleiben und warten. Er wollte zu Nico in die Küche gehen und mit ihm zusammen den Raum durchsuchen. In der Nähe seines Freundes fühlte sich Sugar wohler. Da waren sie zu zweit.
Noch einmal drehte er sich. Er wollte einen letzten Blick in die Umgebung werfen, auch wenn sie dunkel war.
Genau darauf schien jemand gewartet zu haben. Der Angriff erfolgte aus der Finsternis hervor. Zum erstenmal sah Sugar ungefähr, was da mit ihm passierte.
Etwas raste auf ihn zu. So schnell, daß dieses Etwas kaum zu verfolgen und erst recht nicht zu identifizieren war. Es war ein Gegenstand, ein Schatten, ein gestaltloses Ding, das mal so und dann wieder so aussah, nie richtig zu sehen und erst gar nicht zu begreifen war.
Sugar riß den Mund auf. Der Warnschrei erstickte, denn das Etwas rammte gegen seine Lippen.
Allerdings nicht zu vergleichen mit einem Faustschlag, sondern mehr wie ein Hieb mit einem feuchten Lappen, der die Lücke zwischen den Zähnen fand und dabei noch tief in seine Kehle drang. Ihm wurde die Luft knapp. Er spürte einen widerlichen und zugleich unbeschreiblichen Geschmack im Mund, als hätte man ihm dort fauliges und altes Fleisch hineingerammt.
Sugar würgte. Das Gefühl, ersticken zu müssen, überkam ihn mit aller Wucht.
Dann war es vorbei!
Er bekam wieder Luft. Der Schatten oder was immer es gewesen war, tanzte weg und ließ sich dabei von der Dunkelheit zwischen den Wänden verschlucken.
Der junge Mann atmete auf. Ihm war übel. Er torkelte zur Seite, er würgte. In der Stille hörten sich die Geräusche lauter an, als sie es tatsächlich waren.
In der Küche wurde Nico aufmerksam. Er vergaß dort seinen Job und kam zur Tür. »He, Sugar, was ist denn?« flüsterte er und leuchtete gegen die tanzende Gestalt, denn Sugar hatte sich noch immer nicht zurechtfinden können. Er hielt den Kopf gesenkt, spuckte das aus, was noch in seinem Mund klebte.
Vor ihm blieb das Zeug auf dem Holzboden liegen.
Nico Goodwin leuchtete es an.
Der hellgelbe Kreis fiel genau auf die dunkle Pfütze, die auf der Oberfläche schimmerte.
Dunkel war sie und auch rot.
Blut!
***
Goodwin sagte nichts. Er kam sich vor, als hätte man ihm die Lippen verschnürt. Auch die Hand mit der Lampe bewegte sich nicht, so blieb der Kegel auf der Blutpfütze kleben. Sie bekam Nahrung, denn Sugar stand dicht vor ihr, den
Weitere Kostenlose Bücher